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Deutsch-türkisch, türkisch-deutsch

Gerade nicht leicht die deutsch-türkische, türkisch-deutsche Beziehung. Aber wer will schon leichte Beziehungen haben? Das wäre auf Dauer unendlich langweilig, aber so muss ich es auch nicht haben. Wir alle nicht. Grundsätzlich möchte ich mit allen friedlich miteinander leben und nicht gegeneinander. Als hätten wie nicht wichtigere Probleme zu lösen, als jene Kindereien, die gerade vom Bosporus zu uns herüber schwappen. Auf der anderen Seite ist die Türkei Asien und Europa, ich glaube sie wissen selbst nicht wo sie hingehört.

 


Sie gehört nicht zum arabischen Raum, nicht zum asiatischen und nicht zum europäischen, geografisch natürlich fein säuberlich zugeordnet, aber politisch, ideell daran fehlt es. Trotzdem ist sie da und trotzdem darf man sie nicht ignorieren. So wie sie bislang gewesen war und ist, konnte und kann sie kein Teil der EU werden, so wie sie war und ist, aber auch nicht zu einem anderen Teil dieses Raumes. Mitleid? Nein, absolut nicht. Respekt? Vor den Menschen als Menschen, vor der Regierung dort? Nein. Nicht wirklich. Wer ist die Regierung dort? Als Frau muss ich sagen, das sind lauter gefährliche Hampelmänner und vergangenen Sonntag war dann auch noch ein türkischer Jungunternehmer bei Anne Will, wenn der den Mund aufgemacht hat, da habe ich nur gedacht „Mann geh mal an den Spiegel und gucke hinter die Ohren, da kleben immer noch die Eierschalen dran!“. Gruselig.

 
Es will mir nicht in den Kopf, dass das türkische Volk totalitär regiert werden muss. Warum eigentlich? Warum will es seine Wahl- und Entscheidungsfreiheit mit dem Referendum im April wirklich abgeben, will sein Parlament entmachten und einen einzelnen auf einen Sockel haben, auf dem er nichts zu suchen hat. Denkt mal nach. Ihr gebt alles ab, alles auf. Wäre das hier auch möglich? Sicher, wenn die AfD zum Zug kommen würde, was der Himmel verhüten möge, denn wie man Parlamente aushebelt, haben wir alle in der Vergangenheit erleben dürfen und müssen. Meine Eltern haben uns, meinen Geschwistern und mir, öfter erzählt, wie das damals im Dritten Reich gewesen war. Bei uns gab es das „wir-möchten-nicht-darüber-reden“ nicht, sie haben die Fragen meiner Geschwister und meine Fragen beantwortet.

 
In der Türkei sind nach dem Putsch, der für mich viele Fragen aufwirft, Menschen ihres Amtes enthoben worden, ihrer Berufe und ihrer Existenzen beraubt worden, sie sind in Gefängnissen verschwunden, wurden mundtot gemacht, die Presse wurde entmachtet, die Pressefreiheit wird staatlich gelenkt und ist somit keine, der türkischen Bürgerin, dem türkischen Bürger wird jede Chance auf neutrale Berichterstattung genommen, Frauen sind schon vor dem Putsch ungleich der Männer gestellt worden. Erdogan will Macht, allumfassende Macht, nein, nicht als Folge des Putschversuches, sondern weil er immer schon Macht haben wollte. Wie viel Putsch war wirklich in dem Putsch?
Wir hier in Deutschland sind ein demokratisches Land, ein freies Land das seit zweiundsiebzig Jahren in Frieden lebt und von dessen Boden aus zuvor furchtbares Leid geschehen war. Das lässt sich nicht leugnen. Aber wir haben es geschafft, meine, unsere Eltern haben es geschafft, haben das Land wieder aufgebaut, haben es – zugegeben mit einer Menge Glück – wieder an die Spitze in der Welt geführt, haben das geteilte Land wieder zusammengeführt. Nicht Nummer 1 in allen Belangen, aber wir mischen ganz oben mit in Freiheit und demokratischer Struktur.

 
Deutschland ist ein offenes Land, es hat den hier geborenen Kindern der „Gastarbeiter“ ermöglicht mit zwei Staatsbürgerschaften leben zu dürfen. Ein absolutes Privileg, eine Geste, die man als solche auch achten muss. Hmm… nein, nicht als Racheakt, aber wenn ich sehe, was sich daraus ergeben hat, na ja, da muss ich mich dann fragen, warum sollten wir das zulassen. Was zulassen? Verdammt will ich sein, wenn ich zulassen möchte, dass von unserem demokratischen Boden aus, einem angehenden Diktator und seinem totalitären Staat dafür der Weg geebnet wird. Wie billig ist das, dass sich die Männer, die sich im Übrigen der Stimmen der Frauen bedienen, ihnen aber keine Rechte einräumen und vorhandene deutlich beschneiden, auf Stimmenfang hierher begeben müssen, weil ihnen der Arsch auf Grundeis geht, dass ihnen die Stimmen in ihrem eigenen Land nicht ausreichen werden. Welch‘ ein traurig Bild, dass die Türken, die hier in Deutschland leben, glauben, dass sie diesen Männern, außer für die Stimmabgabe, auch nur ein Jota wert oder gar wichtig sind.

 
Mit welcher Frechheit Erdogan Deutschland beschimpft, mein Land der Nazimethoden bezichtigt. Das war zu viel, schlimmer finde ich noch, dass das getreue Volk hier, der Stimme andächtig lauscht und das dann auch noch glaubt. Nicht wirklich, oder? Müssen wir uns das gefallen lassen? Nein, wobei die meisten Reaktionen der Politiker cool waren: Es sei ihnen zu blöd sich darüber aufzuregen! Dumm gelaufen Erdogan, oder? Das hattest dir wohl anders vorgestellt.

 
Muss ich zulassen, dass von meinem Land aus für einen totalitären Staat, für den Übergang der Macht weg von einer Demokratie hin zu einer Diktatur geworben wird? Von unseren demokratischen Grundfesten, von den Vorstellungen über Meinungsfreiheit her – vielleicht. Als Politiker muss man das vielleicht zähneknirschend zulassen und ich finde hier sind fehlende Brandschutzanlagen hervorragende Argumente dagegen, als Bürger habe ich eine freie Meinung haben zu dürfen und die sagt: Bei aller Toleranz, aber ich werde niemanden dabei unterstützen die Freiheit von Menschen einzuengen, Bürger zu gängeln, durch Einschränkung der Pressefreiheit mit falschen Informationen zu füttern, Juristen, Lehrer und Journalisten unschuldig hinter Gitter zu bringen, ebenso wie all jene, die kritisch und unbequem sind. Ich werde niemandem das Wort erteilen, der mir und meinem Land unterstellt mit Nazimethoden zu arbeiten, werde diesen keine Redefreiheit zu Wahlkampfzwecken für einen diktatorischen Staat erteilen.

 
Erdogan versucht mit allen Mitteln Kanzlerin Merkel zu provozieren, was ihm nicht gelingen wird und er wird sich an ihr die Zähne ausbeißen. Er wäre nicht der erste, der nach einer Auseinandersetzung mit ihr zahnlos wirkt, denn sie hat etwas, das er nicht hat: sie hat Zeit das auszusitzen. Er provoziert sie und uns alle, nur damit er das seinen Landsleuten hier präsentieren und für sich nutzen kann. Er wird uns erpressen, dass er das Flüchtlingsabkommen aufkündigen wird. Na und? Dann stellen wir und die EU alle finanziellen Hilfen und Geldmittel ein. Touristen werden über eine Reise in die Türkei auch nachdenken wollen. Kein Geld, keine Wirtschaft, alter türkischer Mann was dann?
Ich bin nicht für Rache, aber man sollte zumindest darüber nachdenken, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen, entweder und ohne oder ein klares Bekenntnis abverlangen, wohin die Reise eines jeden einzelnen geht: Türkei oder Deutschland. Mir will nicht einleuchten, wie Menschen hier Diktatur und dort Demokratie wählen können. Entweder oder. Beides geht nicht.

 
Wir haben ein Problem, keine Frage. Gespräche müssen stattfinden, auch wenn sich mir der Sinn nicht ganz erschließt und die Tatsache, dass Ankara den deutschen Botschafter einbestellt hatte, war eine Lachnummer schlechthin. Natürlich für den Botschafter ist so etwas immer blöd, aber ich denke er weiß, was er davon zu halten hat. Sie müssen sich doch im Klaren darüber sein, dass sie uns nicht erschüttern können. Sollen sie uns der Methoden der Nazizeit bezichtigen, wir wissen, dass dem nicht so ist, der Rest der Welt auch. Politiker vertreten dieser Tage während der unzähligen Interviews ihre politische Meinung, erklären uns das, was unser Land ertragen können muss, aber sie erklären auch ihre persönliche Einstellung, die das, was Erdogan und seinen Mannen da veranstalten, auf gut Deutsch gesagt Kacke findet. Das ist legitim und zeigt, dass man nicht immer kann wie man gerne möchte und dass unsere Politiker auch nur Menschen sind.

 
Wir werden das Problem lösen, irgendwann nach dem Referendum, wenn es niemanden mehr interessiert, bis zur nächsten türkischen Wahlveranstaltung auf deutschem Boden, die dann hoffentlich unter einer anderen, geschickteren Gesetzeslage nicht abgehalten werden wird. Wenn die Türken, die hier in Deutschland leben, in der Türkei zur Wahl gehen wollen, dann sollen sie das mit nur einer Staatsangehörigkeit und per Briefwahl machen, so hat dann unsere Post auch noch etwas davon. Abermals Wahllokale für ein zweifelhaftes Regime? Nein, das hat mir damals schon nicht gefallen und gefällt mir heute noch viel weniger. Egal welche Haltung wir hier einnehmen, es wird alles seinen Lauf gehen und selbst, wenn Erdogan keine Mehrheit bekommt, so wird er am Ende sich die Mehrheit nehmen, die er für die Umsetzung seiner Ziele braucht, ebenso wie ihm der Putsch gerade recht gekommen war. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

 
Unruhige Zeiten, die wir da haben und ich vertraue in unseren Rechtsstaat, in unsere Demokratie und in unseren Willen in Friede und Freiheit leben zu wollen. Laßt es Euch gut gehen!

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