Jede Familie, jeder Partner, der vor der Entscheidung steht den demenzkranken Angehörigen selbst zu pflegen, wird am Anfang viele helfende Hände gereicht bekommen. Die Oma würde sogar von den Enkeln „genommen“ werden, nur damit ihr der Weg ins Heim erspart bleibt. Dem Partner wird alle Hilfe der Welt und jederzeit angeboten werden, er oder auch sie würde auf keinen Fall alleine sein mit all dem was da kommt. Man muss kein Prophet sein um zu wissen was da kommt.

Mit der Zeit versiegt die Hilfe, bleiben helfende Hände aus, ist man auf sich alleine gestellt. Das mag normal sein, weil die Interessen andere sind, weil man nicht jeden Tag das vor Augen hat, was pflegende Angehörige sehen. Das fängt gleich am Morgen damit an, dass die Hilfestellung bei der hygienischen Körperpflege immer intensiver wird, bis über ganz banale Dinge des Zusammenlebens bis hin zu distanzlosem Verhalten er Erkrankten. Aber auch gut, um Unterstützung betteln wird man nicht, lieber sucht man sich andere Wege.

Es ist für Angehörige, die nicht tagtäglich mit den Erkrankten zu tun haben schwer zu verstehen, dass man als Betreuende nicht immer alles ertragen kann. Gebrauchte Tempotaschentücher haben nun mal auf dem Esstisch nichts zu suchen, ebenso wenig wie ein Kamm neben dem Suppenteller.  Einem erwachsenen Menschen, vor dem man immer sehr viel gesunden Respekt hatte, nun Grenzen aufzeigen und Regeln erklären zu müssen, geht weit über das hinaus was man für sich selbst möchte. Jede Art von Erziehung, Beibringen von Anstand und Regeln sollten ein Ende haben,  wenn die eigenen Kinder erwachsen sind. Auf der anderen Seite kann nicht alles mit den Worten „Das ist halt die Krankheit“ akzeptiert werden. So kann nur jemand reden, der nicht 24 Stunden am Tag mit dem Menschen, dessen Entwicklung nun mal rückläufig ist, zusammen ist. Ausschnitte von zwei oder drei Stunden sind ein Witz gegen rund um die Uhr. Wie oft und wie lang sieht ein Pfleger in einer Einrichtung einen dementen Menschen? Diese Diskussionen habe ich schon damals gehabt als Andreas noch in den Kindergarten gegangen ist. Was sind ein paar Stunden Betreuung gegen den Rest des Tages? Und das an sieben Tagen in der Woche und nicht an nur fünf Arbeitstagen. Gegen die Verantwortung? Gegen all das, was schon da ist und das, was noch dazu kommt? Ein Ausschnitt, ein Wimpernschlag, nicht mehr.  

Hundert Mal sage ich mir „Das ist halt die Krankheit“, wenn ich wieder durch den Lichtschein in meinem Gesicht geweckt werde, weil sie vergessen hat, dass gerade Nacht ist und man eigentlich schläft, aber beim 101ten Mal da werde ich auch mal meckern, weil das nicht lustig ist so geweckt zu werden.  Hundert Mal sage ich mir „Das ist halt die Krankheit“, aber wenn jemand am Tisch sitzt und permanente Unarten ausspielt, dann kann und muss ich Einhalt gebieten, denn bei allem Verständnis, ich sitze auch an diesem Tisch, der Rest der Familie auch. Hundert Mal sage ich mir „Das ist halt die Krankheit“, aber beim 101ten Mal, wenn ich wieder etwas aus dem Schrank fische, das dort nicht hingehört, dann nehme ich mir heraus etwas zu sagen, darauf aufmerksam zu machen, dass es ausreichend viele Mülleimer gibt. Es widerstrebt mir Schränke zu kontrollieren, zu gucken ob die Körperpflege  ausreichend von statten geht, ihr förmlich nachzuspionieren, es widerstrebt mir sie zu bitten dieses oder jenes zu lassen, aber an einigen Stellen geht es nicht anders.

Helfende Hände werden weniger, die Träger der Stimmen, die vehement gegen eine Unterbringung in einer Einrichtung gesprochen haben, sind lange schon verstummt, ihre Träger von sich aus und freiwillig nicht zu sehen, auch gut. Einzig Leidtragend, weil das ein wenig Abwechslung geboten hätte, ist meine Schwiegermutter, schade, weil immer nur wir und in der Hauptsache ich, ist auch für sie mit der Zeit langweilig, wäre mir auch so, kann ich ihr nachempfinden, ich würde mich auch nicht rund um die Uhr sehen wollen. Zugegeben ich habe zwar auf sie, die freiwilligen, helfenden Hände gezählt, in meinem Innersten geahnt, dass es keine Freiwilligkeit geben wird. Nach einer gehörigen Portion Enttäuschung und einer ganzen Weile Verarbeitung, habe ich festgestellt, dass ich sie nicht brauche, dass ich ohne ganz gut klar komme und wenn es dann eben nicht mehr geht, dann geht es eben nicht mehr.

Wenn man also vor der Frage steht, ob man seinen Angehörigen zu Hause pflegt oder nicht, dann kann und darf man sich niemals darauf verlassen, dass alle das erfüllen was sie angeboten haben, dann sollte man seine Planungen und Überlegungen niemals darauf stützen.