Der Körper spricht die Seele an.

„Kannst du mir sagen was mit dem Geist los ist?“ fragte der Körper die Seele.

„Wie meinst du das, Körper? Er hat sich nicht bei mir beklagt, er scheint sich wohl zu fühlen, nur ab und zu, da fühle ich, dass er, na sagen wir mal ein wenig durcheinander ist und mich deswegen geradezu schwermütig macht. An anderen Tagen aber ist er zornig. Stimmt schon, dass er sich verändert hat. Warum fragst Du Körper?“

„Ich frage weil er mich so oft ruhelos umherlaufen lässt, dann wiederum lässt er mich nach Dingen suchen, wo er nicht mehr weiß, wo ich sie für ihn hingelegt habe.“

„Komisch, das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Ich merke wohl seine Wut, seine Unsicherheit und auch, dass er deswegen traurig ist.“

„Das glaube ich dir gerne, weil ich es bin, der laufen muss. Manchmal fällt ihm sogar mitten in der Nacht etwas ein, dann weckt er mich und schickt mich los. Gestern zum Beispiel, da hat er vergessen mir zu sagen, dass ich den Geldbeutel aus der Manteltasche nehmen soll. Also ließ ich ihn dort. Dann irgendwann, es war bestimmt drei Stunden später, da schickte er mich in die Küche, ließ mich nachschauen, ob der Geldbeutel an seinem Platz in der Schublade liegt. Das tat er natürlich nicht und sofort schickte er mich durch die ganze Wohnung auf die Suche, obwohl ich ihm sagte, dass ich müde war und gerne schlafen wollte. Ich versuchte ihm immer und immer wieder klar zu machen, dass der blöde Geldbeutel noch in der Manteltasche war. Er antwortete darauf, dass das nicht wahr sei und er ließ mich in die Manteltasche schauen, aber in die des anderen Mantels, nicht den, den ich getragen hatte. ‚Siehst du‘ sagte er ‚der Geldbeutel ist nicht da, den hat bestimmt der Mann von nebenan mitgenommen, der hat nämlich einen Schlüssel und kann jederzeit hier in die Wohnung kommen.‘ Ich antwortete ihm natürlich, dass das völliger Quatsch sei, aber nein, er bestand darauf, dass das so wäre. Nun verlangt er sogar von mir, dass ich das Schlafzimmer nachts abschließe. Immer wenn etwas fehlt, da behauptet der Geist, dass in der Wohnung fremde Menschen sind, die all das was er sucht an eine andere Stelle gelegt haben. Er kann nicht zugeben, dass er etwas vergessen hat.“

Die Seele, die schweigend zugehört hat, nickte nur und antwortete: „Nun wird mir einiges klarer. Ich habe mich ein wenig zurück gezogen, weil mir seine Verzweiflung, seine Traurigkeit zu schaffen machte und all das auf mich übergeht. Ich habe versucht ihn aufzuheitern und wenn ich geglaubt habe, dass ich es geschafft hatte, da wurde er wieder grummelig. Natürlich fühle ich Tag und Nacht diese Unruhe,  merke wohl, dass du hin und her läufst.“

„Ob der Geist krank ist? Hier in der Wohnung sind nur wir drei, da ist niemand sonst, aber es wird immer schlimmer, nun lässt er mich schon an der Tür des Esszimmers klopfen, weil er denkt, dass da jemand wohnt und man muss ja höflich sein. Manchmal, da darf ich stundenlang nicht reden, auch wenn ich viel zu sagen hätte und ich darf noch nicht einmal mein Gesicht zu einem Lächeln verziehen, muss starr geradeaus schauen. Weißt du wie anstrengend das ist? Ich bin nicht mehr jung und weiß, dass meine Tage gezählt sind, aber ich möchte noch Spaß haben, mich freuen können, nicht so unruhig sein müssen, so starr in seinem Tun gefangen sein.“

„Ich weiß nicht was mit dem Geist los ist, keine Ahnung. Vielleicht sollten wir ihn fragen wie es ihm geht, aber lass mich das erst noch ein paar Tage beobachten und die beste Gelegenheit abwarten.“

Der Geist indes hat gehört was der Körper und die Seele besprochen haben.

„Sie reden über mich,“ dachte der Geist „sie reden über mich als sei ich verrückt, würde meine Arbeit nicht mehr machen können. Was ist denn schon dabei, wenn ich mal etwas vergesse? Die tun ja gerade so, als wäre das die ganze Zeit so. Gerade gestern, da war doch ein guter Tag gewesen, alles lag an Ort und Stelle, niemand hat mir etwas versteckt, oder weggenommen, das Essen hat geschmeckt, wir waren einkaufen gewesen, alles in Ordnung. So ein Verräter, der Körper, das hat er der Seele nicht erzählt, dass wir auch gute Tage haben. Pah! Ich mache also die Seele schwermütig. Was macht die Seele? Sie heitert mich auf? Dass ich nicht lache! Nichts macht sie, zieht sich in den hintersten Winkel des Körpers zurück, wenn ich dabei bin zu verzweifeln, wenn die, die da in unserer Wohnung sind, mir wieder etwas genommen haben, an einen anderen Platz gelegt haben, nur um mich zu ärgern. Seit der nebenan eingezogen ist, ist bei uns nichts mehr in Ordnung. Die Seele glaubt wohl ich bin verrückt. Na der werde ich es zeigen. Und der Körper? Er achtet gar nicht mehr darauf, auf alle seine Körperteile und Organe aufzupassen. Wie sonst kann es passieren, dass ich das Gefühl habe alles zu vergessen? Er soll nicht mehr lachen dürfen? Ja findet er es denn lächerlich, wenn ich mich nicht erinnern kann… Aber ich kann mich doch noch erinnern. Ich weiß jede Einzelheit aus meiner Jugend, fast jedenfalls, kann mich erinnern, dass wir die letzten Tage des Krieges im Bunker saßen bis die Amis gekommen sind, ich kann mich an jeden Urlaub erinnern, an meine Ehe, meine Kinder, Enkelkinder, alles was früher war. Ja früher, da war das alles noch in Ordnung, aber seit dieser Mann in die Wohnung nebenan lebt, ist hier nichts mehr in Ordnung. Er und seine Freundin.  Selbst meinen Mantel hängen sie in der Nacht einen anderen Ort, nur um mich verrückt zu machen. Nein! Nicht mit mir, denen werde ich es zeigen!“

Es vergingen einige Tage, gute Tage. Der Geist glaubte, dass nun alles gut werden würde, der Körper kam ein wenig zur Ruhe, die Seele brachte beide dazu zu lachen. Dann kam der Tag an dem das Geld im Geldbeutel und der Kassette zur Neige ging und der Geist dem Körper sagte, dass sie morgen zur Bank gehen müssten. Der Körper fürchtete sich immer davor, weil genau das die Tage waren, die diese tagelange Unruhe des Geistes auslösten. Er flüsterte der Seele zu, dass er das genau beobachten sollte.

Am frühen Morgen, die Bank hatte gerade geöffnet, da betraten der Körper, der Geist und die Seele vereint die Bank. Sie waren die ersten Kunden. Das Geld, das sie sich geben ließen, wurde in ein Kuvert gepackt, ein größerer Schein und drei kleinere in den Geldbeutel. Der Geist ließ den Körper alles im Einkaufstrolli verstauen, den sie dabei hatten, da sie gleich noch einkaufen wollten. Sie verließen die Bank und gingen einkaufen.  Sie kauften keine großen Vorräte ein, sondern nur das, was sie für diesen und den nächsten Tag brauchten und Schokolade, jede Menge Schokolade.  Sie legten noch einen kurzen Stop bei ihrer Schwester ein, brachten ihr eine Tafel Schokolade und dann gingen sie nach Hause. Zu Hause angekommen sollte der Körper den Einkaufsroller auspacken, Fleisch, Blumenkohl, Butter, Käse in den Kühlschrank legen, die Schokolade dazu, nein nicht alle Schokolade, eine Tafel musste der Körper gleich essen. „Ich brauche Energie.“ sagte der Geist zur Erklärung. Er hatte inzwischen vergessen, dass das Kuvert mit dem Geld im Trolli ganz unten unter der Zeitung lag, die immer da lag, um den Trolli vor Verschmutzung zu schützen. Er hatte auch den Geldbeutel vergessen, der in der kleinen Tasche vorne am Trolli war. Der Geist wies den Körper an zu kochen, freute sich, dass alles klappte und das Fleisch, der Blumenkohl und die Kartoffeln vorzüglich schmeckten. Nach dem Abwasch durfte sich der Körper ein wenig auf das Sofa setzen und ausruhen. Der Körper schlief gerade tief und fest, als ihn der Geist weckte. Er wollte sich davon überzeugen, dass der Geldbeutel in der Schublade und das Kuvert in der Kassette war.

„Ich habe den Geldbeutel gar nicht aus dem Trolli genommen und das Kuvert mit dem Geld auch nicht.“ sagte der Körper dem Geist.

„Willst du mich auf dem Arm nehmen? Das haben wir zu aller erst gemacht, nachdem wir nach Hause gekommen sind. Ich habe dir gesagt du sollst den Geldbeutel in die Schublade des Küchenschrankes legen, das Kuvert in die Geldkassette. Schau nur nach und du wirst sehen.“

Der Geist schickte den Körper zu Schublade und ließ sie von ihm öffnen: „Und was habe ich dir gesagt alles da.“

„Nein, schau doch genau hin, ich sehe keinen Geldbeutel.“

„Das kann doch gar nicht sein. Du hast bestimmt nicht das getan was ich dir gesagt habe. Das machst du doch mit Absicht.“

„Was mache ich mit Absicht?“

„Du willst mich verrückt machen, tust einfach nicht mehr das was ich dir sage.“

„Was soll ich anderes tun als das, was du mir sagst?“ antwortete der Körper traurig. „ich kann doch nur das tun, was du mir sagst, ich kann gar nicht anders. “

„Papperlapapp, du hast einen Weg gefunden das zu tun was du willst. Oder…vorhin, da hast du tief und fest geschlafen, da kann nur der Mann von nebenan hier gewesen sein und alles geklaut haben, nur weil du nicht mehr das tust was ich dir sage!“ Der Geist schwieg einen Moment, dann fuhr er fort. „Ich weiß, du hast dich mit der Seele zusammen getan. Ihr wollt mich wahnsinnig machen, wollt mich hier vertreiben, bestimmt wartet da schon ein anderer, der meinen Platz einnehmen will.“

„Was redest du nur für einen Unsinn? Du weißt doch genau, dass das nicht geht.“

„Ich…ich…“ weiter kam der Geist nicht, da sich die Seele nun in das Gespräch einschaltete.

„Der Körper hat Recht, Geist, und du weißt das nur sehr genau. Verändert hast du dich, merkst du das nicht?“

„Ich mich verändert? Spinnt ihr nun vollends? Ich habe mich doch nicht verändert. „

Ganz ruhig antwortete die Seele: „Doch das hast du und ich glaube du weißt genau was los ist.“

„Nix ist los, gar nix.“ antwortete der Geist traurig.

„Doch mein Freund, viel ist los. Wir sind alt, alle drei und da lassen wir schon mal nach. Schau der Körper, er kann nicht mehr so schnell wie früher, manchmal hat er auch Probleme sich selbst zu fühlen. Er wird langsam müde, obwohl er im Gegensatz zu uns immer mal schlafen durfte.  Ich fühle mich ebenfalls so ganz anders, ein wenig mehr in mich zurück gezogen, überlasse es euch für unser Wohlbefinden zu sorgen, es ist mir fast schon genug, wenn wir ausreichend ernährt sind. Meine Bedürfnisse sind geringer geworden. Und du, du fängst an zu vergessen.“

„Ich vergesse nicht! Nie! Ich kann mich noch an alles erinnern! Was glaubst du eigentlich wer du bist?“
„Ruhig, mein Freund, ich will dich doch nicht beleidigen. Ich habe euch beobachtet, dich und den Körper. Ich habe gesehen, dass du den Körper immer wieder Dinge suchen lässt, weil du dich nicht daran erinnern kannst, wo er sie für dich hinlegen musste. Du lässt den Körper vor dem Herd stehen und warten bis dir wieder einfällt was als Nächstes zu tun ist, inzwischen verkochen die Nudeln und die Karotten. Ein Wunder, dass bis jetzt immer alle Herdplatten ausgeschalten waren. Du wirst panisch, wenn du überlegen musst, ob du Zucker oder Salz in das Kochwasser  geben lassen sollst. Und vor drei Tagen, als der Körper Apfelküchle backen sollte, da hast du die Äpfel vergessen, hast uns erklärt du hättest es dir anders überlegt.“

„Ja, aber, aber…das ist doch alles gar nicht wahr, das war alles nur halb so schlimm. Wenn wir, meine Schwester und ich, zusammen sitzen und uns unterhalten, dann fallen mir und ihr so viele Geschichten von früher ein.“

„Das will ich auch gar nicht bestreiten. Aber, mein Freund, du weißt doch ganz genau was los ist, was passieren wird. Verschließe nicht die Augen davor. Wir müssen das so akzeptieren wie es ist, vielleicht wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen zu den Kindern zu gehen, da brauchst Du wenigstens keine Angst zu haben, dass da jemand in der Wohnung ist. Wir wären in Sicherheit und du weißt, dass wir zu ihnen gehen können.“

„Was meinst du? Ich verstehe nicht ganz.“

„Ich glaube du verstehst mich ganz genau. Zuerst hat es damit angefangen, dass du Namen vergessen hast, dann sind dir Bezeichnungen für die einfachsten Worte nicht mehr eingefallen, manchmal zweifelst du, ob du draußen, wenn wir unterwegs sind, den richtigen Weg nach Hause eingeschlagen hast. Du vergisst, dass der Geldbeutel noch in der Tasche liegt und das Kuvert auch. Manchmal, da musst du beim Kochen überlegen, ob Salz oder Zucker und dass du noch nicht vergessen hast die Herdplatte ausschalten zu lassen ist ein kleines Wunder.  Ich schätze mal, mein Freund, du wirst dement werden.“

„Ich und dement! Nein, Seele, da irrst du dich. Das ist alles nur eine kleine Schwächeperiode, nichts weiter. Das geht vorbei.“

„Und wenn nicht?“

„Und wenn nicht was?“

„Und wenn es keine Schwächeperiode ist, was dann? Du weißt doch wie das läuft, kennst diese Symptome.“

„Dann, dann weiß ich auch nicht.“ Die Worte, die der Geist sprach, klangen traurig. „Ich schätze wohl, dass ich euch dann nicht mehr unterstützen kann, dass ich nicht mehr ich bin, dass wir dann hier gefangen sind, bis auch der Körper nicht mehr kann und mag. Wird das so sein, Körper? Verlasst ihr mich dann, lasst ihr mich allein?“

Nach einer kurzen Pause antwortete der Körper: „Ich bin alt, Geist, meine Tage sind ohnehin gezählt. Wann das Ende sein wird, das weiß ich nicht, so lange werdet ihr, Du und die Seele bei mir sein, erst danach, wenn ich nicht mehr bin, werde ich euch gehen lassen können. Auch wenn wir mit da draußen nicht mehr kommunizieren können, so brauche ich euch bis zum letzten Atemzug. Ich schätze mal, du solltest mich meinen Sohn anrufen lassen, dass es so weit ist, dass wir gerne zu ihnen in die Stadt ziehen möchten. Nimm dir noch ein paar Tage Zeit, denke darüber nach und dann lass uns zu den Kindern gehen.“

Ein paar Wochen später, der Körper, der Geist und die Seele sind inzwischen von den Kindern abgeholt worden, leben jetzt in der Sicherheit ihrer Familie, werden liebevoll versorgt. Der Geist hat sich sogar noch einmal ein wenig erholen können, auch, wenn er manchmal für einen Moment nicht weiß wo er ist, die einfachsten Handreichungen nicht erledigen kann, sich nicht orientieren kann, er immer Tag und Nacht immer noch unruhig ist. Aber sie fühlen sich wohl, spüren keine Angst mehr und manchmal, an wirklich guten Tagen, da kehrt das Lachen zurück.