Der Kommissar brachte seine Schwester zurück in deren Wohnung, die drei Straßen weiter war. Danach kehrte er zu der Wohnung seiner Nichte zurück. Er betrat das Haus nicht, sondern ging den Weg ab, den Emmi zum Joggen benutzt haben konnte. Er war sich sicher, dass sie in Richtung des Parks gelaufen war. Den Blick gesengt in voller Konzentration lief der die Strecke langsam ab. Er überlegte, ob das überhaupt sinnvoll war, denn der Park würde jetzt um die Mittagszeit brechend voll sein. Das herrliche Wetter lud dazu ein.

Er sah ein wenig entfernt einen Lappen liegen, der aussah als sei er mit Blut getränkt. Der Kommissar ließ ihn liegen und suchte sorgfältig die Umgebung des Fundes ab. Das Ende der Straße war um diese Mittagsstunde menschenleer. Gerade als er aufgeben wollte, nahm er ein helles Glitzern im hellen Sonnenlicht wahr. Er bückte sich und sah, dass es um einen kleinen, silbernen Marienkäfer handelte. Das ist Emmis Käfer. Er ließ ihn liegen, nahm sein Handy aus der Hosentasche. Nach dem Gespräch ging er weiter suchend den Fußboden ab. Hier und da lagen verstreut ausgetretene Kippen, ein leerer Bierkrug vom Festzelt. Der dürfte wohl kaum dem Killer gehören, dachte er. Er ging noch ein wenig weiter, erreichte den Zaun des Parks und folgte diesem. Kaum dass er zwanzig Meter gegangen war, fand er mehrere Zigaretten und daneben einige Zahnstocher. Ein Raucher, der auf Zahnstochern kaut?

Er drehte sich um und sah, dass das Gebüsch vor dem Zaun heruntergedrückt worden war. Dennoch ging er nicht bis an den Zaun heran, um mögliche Schuhabdrücke nicht zu verwischen. Sein Handy meldete einen ankommenden Anruf. Es war Max von der Spurensicherung, die überall unter dem Namen „Spusi“ bekannt war. Nicht nur hier, sondern überall im ganzen Land. „Wo bist Du? Den Lappen, den Marienkäfer haben wir sicher gestellt.“

„Du musst noch ein Stück in Richtung Park und nach dem letzten Haus den Pfad nach links nehmen. Ich warte hier auf Dich, ich denke wir haben das erste Mal Spuren von diesem feigen Mörder gefunden. Er hat Emmi.“

„Ach du Scheiße, ich bin gleich bei dir, wir werden einen Zahn zulegen, wir finden sie, bestimmt.“ antwortete Max. Er nahm seinen Koffer auf und trabte los.

                                                                          *

Gerlinde saß über den Fotos der Leiche am Fundort und hier auf dem Tisch. Sie verglich die Bilder miteinander. Sie weiß genau, sie selbst hatte eine Tüte um die Hand der Toten geklebt, um das was sie da gesehen hatte zu sichern. Da! Auf diesem Foto ist es wunderbar zu erkennen. In diesem Moment gingen in der Gerichtsmedizin alle Lichter aus, nur das Licht des Bildschirms ihres Laptops leuchtete unverdrossen weiter. „Verflucht!“ rief sie, „was soll das? Kann vielleicht mal jemand …“. Im gleichen Moment spürte Gerlinde einen Schlag auf ihrem Kopf und es wurde Nacht um sie herum.

„Gerlinde…Gerlinde…kannst du mich hören?“ ihr Mitarbeiter stand über sie gebeugt, tätschelte heftig ihre Wangen. Die so Angesprochene öffnete stöhnend ihre Augen. „bleib liegen, der Notarzt kommt gleich, schätze mal das“ er wies dabei auf ihren Hinterkopf „muss genäht werden.“

„Egal, hilf mir hoch!“ stöhnte sie schmerzerfüllt. „Verdammter Mist tut das weh!“ Sie schwankte leicht als sie auf die Füße kam und es wurde ihr zu allem Elend auch noch übel, als sie ihr eigenes Blut sah. Das war der Lacher der gesamten Gerichtsmedizin und Pathologie, dass sie, die ständig Leichen obduzierte, die mitunter sehr übel zugerichtet waren, umfiel, wenn sie ihr eigenes Blut sah. Tapfer kämpfte sie gegen die Übelkeit an. Ihr Mitarbeiter, ein netter junger Mann, hielt sie immer noch unter ihrem Arm gepackt.

„Hier, setz‘ dich hin!“ und ehe Gerlinde etwas entgegnen konnte, fand sie sich auf dem Bürostuhl wieder. Sie schielte nach ihrem Laptop, unbedingt wollte sie nachschauen, ob die Bilder noch da waren. Es kam ihr wie gerufen als er sagte, dass er den Doc einweisen würde. Während er den Raum verließ, drehte sie sich um, und drückte wahllos eine Taste. Das würde reichen um ihn aus seinem Stand by Modus heraus zu holen. Das Gerät tat wie ihm befohlen, allerdings waren alle Bilder gelöscht. Das hatte sie sich gedacht, also muss der Täter hier im Hause sein. Wie sonst kann es möglich sein, dass zwischen Fundort der Leiche und der Ankunft derer einfach ein sichergestelltes Beweismittel fehlt?  Mit gewohntem Griff fuhr sie den Laptop nun herunter und schloss den Deckel. Sie biss sich auf ihre Unterlippe, was sie immer tat, wenn sie hochgradig angespannt war, um nicht nachzufragen, ob der Mitarbeiter irgendjemanden gesehen habe.

Sie fühlte in ihre Tasche ihr Handy, auf dem sie intuitiv, ohne einen Grund am Tatort eben dieses Beweismittel fotografiert hat. Es war ihr dann aufgefallen, dass sie statt der üblichen Kamera mit ihrem Handy Beweisfotos machte. Ohne diese zu löschen hatte sie es eingesteckt und das Versäumte mit der Kamera nachgeholt. Sie würde dem Kommissar die Bilder schicken, wenn sie im Krankenhaus war.

                                                                              *

Emmi schwitzte, obwohl es in dem Raum kühl war. Sie hatte keine Ahnung wo sie sich befand. Ihre Handgelenke schmerzten, begannen an den Stellen, wo die Haut abgeschürft war, zu brennen. Nein, das würde sie nicht abhalten weiter zu machen. Sie fühlte, dass sie ihre Hände bereits ein wenig bewegen konnte. Sie hatte das Gefühl, dass in der Beintasche ihrer Hose noch ihr war. Hatte er es übersehen, oder wollte er es übersehen? Wenn Mama merkte, dass sie nicht zur Arbeit kam, dann würde Onkel Herbert sie bestimmt suchen und er würde sie bestimmt finden, so wie sie immer gefunden hatte, wenn sie früher verstecken spielen. Vielleicht würde er sogar ihr Handy orten, sie hatte es nicht ausgeschaltet, für den Fall, dass Mama sie anrufen würde.

„Noch ein kleines bißchen, dann reicht es, damit ich mit meiner Hand durchkomme.“ denkt sie. Vom dem Tisch in der Mitte des Raumes kommt ein leises Stöhnen. „Hallo?“ ruft Emmi in diese Richtung „Hallo, sind Sie wach? Haben Sie noch ein klein wenig Geduld, dann kommen wir hier raus!“ Einzig ein verzweifelt klingendes Stöhnen war die Antwort. Angestrengt lauschte Emmi in die Stille, ob sie irgendein Geräusch hörte, das die Ankunft des Peinigers anzeigte. Nichts“ Stille. Oder doch nicht. War da nicht eben ein Geräusch? Sie hielt inne, unterbrach ihren Befreiungsversuch und stellte sich schlafend. Sie nahm das leise Quietschen der Tür wahr, hielt ihre Augen fest geschlossen.

Sie roch ihn. Sie wusste er war da. Emmi hatte keinen blassen Schimmer woher sie diesen Geruch kannte. Zuerst dachte sie, dass es noch die Nachwirkungen des Betäubungsmittel sind, bis sie begriff, dass er war, der so roch.

„Na, meine Schätzchen, schlaft ihr noch? Gut so, ich komme wieder und dann wollen wir uns Fest feiern.“ Damit verschwand er wieder. Emmi war klar, dass sie nur noch wenig Zeit hatte, um zu versuchen ihrem Onkel eine SMS zu schicken, sich vielleicht sogar zu befreien. Merkwürdig, dass sie immer noch das gleiche Lied wie vorhin hörte: Immer wieder sonntags…