Es geht immer weiter
„Weißt Du,“ sagte mein Mann vor Wochen schon, „wir werden uns angewöhnen unseren Alltag mehr mit einem Lachen zu nehmen.“ Das war nachdem unsere beiden Mütter uns auf die Palme gebrachte hatten. Jede auf ihre Art.
Das ist nicht so ganz einfach zu lachen, wenn die Situationskomik in dem Moment des Geschehens nicht zu sehen ist. Aber hinterher kann man auch noch lachen, das haben wir inzwischen gelernt. Der Alltag ist eingekehrt. Einerseits ist es okay, andererseits scheint es manchmal schwierig, da die Privatsphäre, die man sich erhofft, wenn die Kinder groß sind, erst einmal dahin ist. Die eigene Mutter, bei anderen der eigene Vater werden zu Kindern. Wir haben das unsere Vorfahren gemacht? Großfamilie, da fiel das irgendwie nicht auf, man war es gewohnt, dass immer irgendwer da war, der umsorgt werden musste.
Inzwischen haben wir uns einen Termin bei einem Neurologen geben lassen. Warum man drei Monate darauf warten muss ist mir ein Rätsel. Vielleicht weiß ich es nach dem Termin. Entgegen der Hoffnung, dass die Demenz bei meiner Schwiegermutter an Fahrt verliert, wenn sie in der Familie ist, ihre Aufgaben hat, ist das Gegenteil eingetreten: sie hat an Fahrt aufgenommen und wir sehen den Termin beim Neurologen geradezu herbei. Natürlich hoffen wir, dass er das Mittel schlechthin hat, dass den Schleier, der sie nun umgibt, zerreißt, wohlwissen, dass dieses Medikament erst noch gefunden werden muss.
Sie ist lieb, immer noch. Natürlich hat sie manchmal ihre Anwandlungen im Laufe eines Tages, die sehr bestimmend sind. Sie ist dann beleidigt, weil sie nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie sich wünscht, nicht verstehend, dass man gelegentlich auch arbeiten muss. Konzentriert und schweigend. Sie äußert dies dann recht vorwurfsvoll, gibt sich dann aber mir der Erklärung, dass nicht alle Menschen schon in Rente sind überraschend schnell zufrieden. Gut, sie schmollt dann noch etwas nach, aber dann ist auch wieder gut.
Etwas allerdings bereitet mir schon etwas Sorge: sie beginnt uns nicht mehr kennen. Sie kann die Zusammenhänge zwischen ihrem Sohn und mir nicht mehr herstellen, fragt mich, ob ich ihre Schwiegertochter kennen würde. Geduldig erkläre ich es ihr immer und immer wieder, ohne einen konkreten Erfolg vorweisen zu können. Oder wenn mein Mann im Raum war und diesen wieder verlassen hat, fragt sie freundlich wer denn dieser junge Mann gewesen sei. Ich hoffe nun, dass eventuell verordnete Medikamente dies wieder etwas besser werden lassen. Leider ist es bis zu dem Termin beim Neurologen noch eine Weile hin.
Erstaunlich ist, das wird vielen Angehörigen an Demenz erkrankter Angehöriger ebenso ergehen, dass diese Fremden gegenüber ein Strahlen und Pfiffigkeit an den Tag legen, dass diese dann mit der innerlichen Feststellung so schlimm kann das mit der Demenz ja alles gar nicht sein, von dannen ziehen. Bei uns ist es so, dass meine Schwiegermutter sich unglaublich zusammenreißt, wenn unsere große Tochter kommt. Kommt dann noch ihr Freund mit, dann spiegelt das Gesicht meiner Schwiegermutter reine Freude. Ich habe manchmal den Eindruck, dass unsere Tochter an unserem Verstand zweifelt, wenn wir unsere mehr oder weniger kleinen und großen Episoden erzählen. Ich glaube aber, dass sie überrascht wäre, wenn sie bei ihrer Oma einmal nachhaken würde. Aber warum sollte sie das tun? Soll sie sich so lange das geht ihren Glauben erhalten, es ist noch nicht so weit vorangeschritten wie es ist.
Ich bin inzwischen aufgestiegen auf der Karriereleiter, zu ihrer Chefin avanciert. „Chefin“ nennt sie mich vor allem dann, wenn sie überhaupt nicht weiß wer ich bin und wohin sie mich zuordnen soll. Weder mein Name, noch die Tatsache, dass ich ihre Schwiegertochter bin helfen dann. Ich nehme es hin, was bleibt mir anderes übrig.
Ich habe mich entschlossen eine Einrichtung zu suchen. Ob ich aufgebe? Nein, nicht so bald, aber ich bilde mir ein, dass es gut für sie sein könnte ein bis zwei Mal in der Woche in eine Gruppe zu gehen, wo sie auf eine andere Art gefördert wird, als ich bzw. wir es tun können. Wo sie sich mit gleichaltrigen Menschen sofern das mit 87 Jahren möglich ist unterhalten kann und wenn sie nicht unbedingt gleichaltrig sind, dann aber in einem gleichen oder ähnlichen Stadium der Krankheit. Ob diesen Menschen während des Umgangs miteinander auffällt, dass sie unter einer Demenz leiden? Am Ende bedauern sie ihr Gegenüber wie schlimmer er oder sie es getroffen hat.
Das Lachen ist uns nicht vergangen, so sehr wir im Moment auch betroffen sind, dass die Demenz so weit vorangeschritten ist und vor allem einen so riesigen Satz nach vorne gemacht hat.