„Gänseblümchen“ ist der Titel des Buches, das ich über meinen Sohn geschrieben habe. Biografien werden nur über prominente Menschen geschrieben, über Menschen, die Besonderes geleistet haben, die geschichtlich, politisch, gesellschaftliche Stellungen inne hatten, über Menschen, die einmaligen waren. Mein Sohn war ein solcher Mensch für mich, er war einmalig.

Als er noch ganz klein war, vielleicht drei oder vier Jahre alt, damals schon dachte ich, das was er gelebt hat muss ich der Nachwelt irgendwie erhalten. Aber es klappte einfach nicht all das was ihm widerfahren war, aufzuschreiben. Es wäre ein wehklagendes Buch geworden, ein Buch voller Schmerz, voller Zweifel und Angst was werden wird. Zwei drei Jahre später dann, als wir die Abgabelung unseres Weges gefunden hatten, hatte ich keine Zeit zu schreiben. Es wäre ohnehin kein fertiges Buch geworden, wäre ein Buch ohne Ende, ein unfertiges Buch geblieben.

Andreas war längst schon erwachsen und ich hatte vergessen, dass ich das Buch schreiben wollte. Keine Idee mehr meinem einzigartigen Sohn ein Buch zu widmen. Dann irgendwann, nach meinem Erstlingswerk „Das Rosenspiel“, war es soweit, ich erinnerte mich, dass ich über Andreas schreiben wollte und habe dann auch sofort damit angefangen. Ich weiß nicht wie ich oft ich nun schon hören musste, dass ich das bestimmt nur deswegen geschrieben habe, weil ich „verarbeiten“ oder „aufarbeiten“ musste. Nein, werde das Eine noch das Andere. Ich wollte mit meinem Buch anderen Eltern Mut machen, deren Kind krank ist, egal welche Krankheit es auch hat.

Andreas war an einem Dravet-Syndrom erkrankt. Ich war fast am Ende des Manuskriptes als ich diesen Namen das erste Mal gehört habe. Klar ich habe sofort „Google“ in Gang gesetzt und darin all das gefunden habe, was Andreas‘ Krankheit ausgemacht hat. Im Laufe der ersten Jahre wurde der Name der Krankheit egal, da mir klar war, dass man ihm auf keinen Fall würde helfen können. Dennoch war es das für mich noch fehlende Kapitel.

Andreas war ein Clown, trieb mich mit seinem Schabernack manchmal an den Rand des Wahnsinns. Ich habe mich, während ich das Manuskript geschrieben habe, an so viele seiner Streiche erinnert, an so viele Begebenheiten, dass ich manchmal in schallendes Gelächter ausgebroch bin, meine Mutter angerufen habe und ihr das dann auch erzählt habe. Sofern sie dabei war, erinnerte sie sich auch. Es gab auch Begebenheiten, die in der Betrachtung im Nachhinein lustig erschienen, aber während wir mitten in der Handlung waren, dann doch eher peinlich waren. Ich habe darauf verzichtet alles aufzuschreiben. Wir, Andreas und ich, brauchen schon noch unsere Privatsphäre.

Ich habe das Buch „Gänseblümchen“ genannt, weil … das werde ich nicht verraten, weil sich das dem aufmerksamen Leser aus dem Text erschließen wird. Es ist das beste Buch des Jahres, der Bestseller schlechthin, da bin ich völlig unbescheiden. Das liegt aber nicht nur daran wie ich geschrieben habe, sondern weil Andreas der Protagonist ist. Er hat es verdient, dass ich ein Buch über ihn geschrieben habe, das kein jammerndes Buch ist, ein Buch, das ohne tiefgreifenden Konflikte auskommt, weil es die, obwohl ein sehr namhafter Verlag sie gefordert hatte, nicht gegeben hat, zumindest nicht so, wie die Lektoren das dort gerne haben wollten. Ich wollte keine Zugeständnisse machen, mich nicht verbiegen lassen, mich nicht dazu verleiten lassen etwas zu schreiben, was so gar nicht gewesen war. Ich wollte ein leichtes Buch schreiben an dessen Ende, man Andreas mögen muss, vielleicht ein wenig verstehen kann wie eine Familie mit einem behinderten Kind ein lebbares Leben auf ihre Art führen kann, wie die Geschwisterkinder aufwachsen, wie sehr der behinderte Bruder ihr Leben beeinflusst.  Ich hatte nicht die Intention ein trauriges Buch zu schreiben, ein Buch, das innere Dunkelheit schafft, weil ihm jede Lebensfreude, die wir ganz zweifelsohne alle haben, abgeht. „Gänseblümchen“ – das ist mein Bestseller des Jahres 2009, in diesem Jahr mein ganz persönliches Highlight.