Trude war in New York gewesen. Sie war wieder zurückgekommen. Nach ihrer Rückkehr hat Heinz ihr den Himmel auf Erden versprochen, selbst ihre Schwiegermutter saß da und nickte schweigend zu dem, was ihr Heinz seiner Trude an Verbesserungen versprach. Alles würde anders werden. Es wurde alles anders. Für ein paar Wochen, dann fing alles von vorne an. Langsam, schleichend, nach und nach hielten all die schlechten Angewohnheiten wieder Einzug, als hätten sie, wie Trude auch, einfach nur Urlaub gemacht um gestärkt und gleichsam trotziger wieder Einzug zu halten.

Trude sah die ersten Anzeichen darin, dass die Tischmanieren nachließen. Keine Servietten mehr, Nachlegen einer vollen Gabel in den vollen Mund, Nase hochziehen. Angewidert legte sie das Besteck weg, der Appetit war ihr vergangen. Sie wusste, dass er ihr eine blöde Antwort geben würde, wenn sie ihn bitten würde das zu ändern. „Warum? Was hat das für einen Sinn? In drei Minuten läuft sie wieder.“. Sie würde es nie leiden können. Fortan aß Trude ausreichend, während sie kochte. Das waren für sie die ersten Warnsignale, dass alles wieder werden würde wie früher.

Ihre Schwiegermutter, die anfänglich ihr in der Küche noch zur Hand ging, war plötzlich nicht mehr zu sehen, wenn Trude den Salat zum Putzen, die Kartoffeln zum Schälen heraus holte. Wäschen zusammenlegen Fehlanzeige. 

Heinz scherte sich um seine Versprechungen, erschien am Morgen wieder in seiner Unterwäsche vom Vortag und länger, die er stolz den ganzen Tag über präsentierte, gleich welchen Aussehens diese auch war. Nein er zog keine frische Wäsche an, oder eine Short darüber. Trude hasste das, hat das schon immer gehasst. Heinz‘ Töchter hassen das auch. Aber egal Heinz ließ sich von nix beirren, er war der King, alle anderen mussten diesen Anblick ertragen. Trude ertrug das immer schlechter, es ekelte sie regelrecht und manchmal hatte sie das Gefühl als müsse sie würgen, wenn er gelbfleckig den Raum betrat in dem sie gerade war. Trudes Sicht war braunstreifig, wenn Heinz diesen Raum wieder verließ.  Er hielt sich wohl für anziehend, glaubte in Unterwäsche dieser Art seine Frau anmachen zu können oder sah sich gar als niedliches Streifenhörnchen.

Auch ein Thema, das Trude mehr und mehr nervte. Er machte sie immer für alles verantwortlich. Am liebsten dann, wenn mal etwas nicht so ganz geklappt hat wie gedacht, oder wenn sie etwas vergessen hatte. Dann plusterte er sich auf doppelte Größe auf. Er hatte es hier sehr leicht, denn er machte ja nie etwas, getreu dem Motto: wer nichts macht, der macht auch keine Fehler. Sie war es immer, die alles zu managen hatte, egal ob das eine Rechnung zu begleichen war oder die Gelegenheit zu schaffen miteinander zu schlafen, auch wenn er es war, dessen Trieb das verlangte. Trude hing das alles zum Hals heraus. Er merkte das nicht, schmollte in der Gegend rum, wenn es nicht so ging wie er das wollte, natürlich ohne dass er etwas dazu tat. Es war ja so einfach sich aus aller Verantwortung zu ziehen und Trude war ein geduldiges Opferlamm. Dachte er jedenfalls immer. Er sah all die Zeichen nicht, die das Ende ankündigten.

Es waren nicht nur die gravierenden Unarten, die sie so störten. Trude wusste, dass das Fass begann voll zu laufen in dem Moment, da sie wahrnahm, dass diese Kleinigkeiten mehr und mehr stören. Sie hatte das Gefühl als störe sie die Fliege an der Wand. Sie fragte sich über Wochen, ob sie nicht alles irgendwie falsch bewertete. Aber was soll sie machen? Er war taub auf dem Ohr, wenn sie etwas sagte. Seine Antworten waren schlichtweg mistig und er hätte sie sich sparen können. Sie wusste die Antworten immer schon, noch bevor sie etwas gesagt hat. Warum also soll sie dann überhaupt etwas sagen? Immerhin hat er es in letzter Zeit unterlassen seinen Standardsatz loszuwerden: „Es interessiert mich nicht warum etwas nicht funktioniert, sondern dass es funktioniert.“. Angesichts dieser Gesprächsaussichten konnte sich Trude es sparen mit ihm zu reden, ihn zu bitten wenigstens eine Short überzuziehen, weil er spätestens am nächsten Tag alles wieder vergessen hatte.

Ausgeglichenheit, eine tiefe innere Ruhe, das war Trudes Wesen. Sie fühlte sich mehr und mehr kribbelig und dachte mit Schreck und Grausen daran, dass sie nach ihrer Arbeit wieder nach Hause musste. „Nach Hause. Was ist das eigentlich?“ dachte sich Trude während sie gedankenverloren im Café ihres Einkaufszentrums saß. „Eine Schwiegermutter, die nervt, für die ich Putzfrau bin und wenn das Essen nicht schmeckt Frustabladestelle. Ein Mann, der mich nicht als Persönlichkeit wahrnimmt, der durch und durch Egoist ist, keine Rücksicht auf andere nimmt. Ein Mann, der glaubt alles zu wissen, über die perfekte Menschenkenntnis zu verfügen und der davon ausgeht unfehlbar zu sein. Ein Wohnzimmer, das er als sein persönliches Zimmer incl. Kleiderablageraum betrachtet, weil er zu faul ist sich im Schlafzimmer auszuziehen, seine 20 Paar Schuhe im Flur verteilt stehen hat, nur keines mal wegräumen, man könnte es ja wieder hervorholen müssen. Ist das meine Aufgabe dem Mann hinterher zu räumen?“. Energisch schüttelt Trude den Kopf. „Nein, es ist nicht meine Aufgabe. So schwer muss er nicht arbeiten. Vor allem wenn ich seine Kleider und seine Schuhe aufräume, das Werkzeug, das er vor drei Wochen an irgendeine Stelle in der Wohnung hingelegt hat, wegräume, da beschwert er sich lauthals, dass immer nur seine Sachen es wären, die sie wegräumen würde. Logisch“, denkt Trude „da nur seine rumliegen fällt es ihm dann auch auf, wenn ich diese aufgeräumt habe. Er wird sich wohl nicht mehr ändern, eher im Gegenteil, alles wird schlimmer werden. Ohne mich.“

Trude ging an diesem Tag sehr nachdenklich nach Hause. Schweigend ging sie an ihrer Schwiegermutter vorbei, die sie zeternd empfing, wo sie denn so lange bleiben würde. In ihrem Schlafzimmer angekommen, zog sie sich um und ging in die Küche, verfolgt von einer immer wütender werdenden alten Frau. Als es ihr zu viel war, drehte sie sich um und zischte: „Sei still, wenn du so einen Hunger hast, hättest Du schon längst die blöden Kartoffeln schälen können.“. Grinsend holte sie den großen Topf auf dem Schrank gab Wasser und Salz hinein und legte demonstrativ die Spaghetti auf die Arbeitsplatte. Dann ging sie durchs Wohnzimmer, Esszimmer, Schlafzimmer, es würde nur wenig sein, was sie mitnehmen würde.

In die Küche zurückgekehrt, setzte sie das Wasser nicht auf, sondern schlug die Wochenzeitung, die auf den Tisch lag, auf und blätterte darin, bis sie gefunden hatte was sie suchte: Vermietungen. Bei einer angebotenen Wohnung mit drei Zimmern, ordentlicher Quadratmeterzahl und moderater Miete blieb ihr Blick hängen.  Die Wohnung muss einen Haken haben, aber das würde gehen, diese Miete könnte sie sich leisten. Spontan griff sie zum Telefon, rief die angegebene Nummer an und vereinbarte einen Besichtigungstermin. Aufgeregt fing sie an das Abendbrot zu kochen. Am Tisch zeterte ihre Schwiegermutter, beschwerte sich bei ihrem „Heinzzz“ mit dem gezischelten „z“, dass Trude so spät nach Hause gekommen war. Trudes Blick, würgte jedes Wort von ihm ab und er trollte sich sogleich nach dem Essen hinter seinen Computer.

Am nächsten Morgen, sie schminkte sich sorgfältig, föhnte ihre Haare und wollte sich gerade in den Flur in Richtung ihrer Schuhe begeben, als sich ihr ihre Schwiegermutter in ihren Weg stellte.

„Wo willst du hin?“ bellte diese Trude an.

„Das geht dich überhaupt nichts an.“

„Das geht mich nichts an? Ich habe heute Mittag mein Damenkränzchen.“

„Und?“ fragte Trude ruhig, zu ruhig, aber ihre Schwiegermutter bemerkte das nicht.

„Was und?“ äffte die Alte ihre Schwiegertochter nach: „Na Kuchen backen, sonst wird er nicht fertig!“

„Na da wirst du gleich anfangen müssen. Du weißt ja wo alles steht.“ Damit schob Trude ihre Schwiegermutter einfach beiseite und ging an ihr vorbei. Unter deren lautem Protest, zog sie ihre Schuhe und Jacke an, nahm ihre Tasche und ging.

Trude lief los. Es war nicht sehr weit bis zu der Wohnung, die sie besichtigen wollte. Vor der Tür dort prallte sie mit einem Mann zusammen, der gerade das Haus verließ. Trude geriet ins Trudeln, fühlte sich wie eine Comicfigur, die kurz davor ist gerade längs auf dem Gehweg aufzuschlagen, wären da nicht zwei starke Männerarme gewesen, die sie aufgefangen haben. Blaue Augen umfassten ihr Gesicht.

„Hoppla!“ sagte eine angenehme Stimme.

„Entschuu…“, stammelte Trude.

„Nein, nein, ich muss mich entschuldigen. Ich hätte nicht einfach so aus dem Haus stürmen dürfen.“ antwortete der Mann. „Alles in Ordnung?“

„Ja, ja, alles gut.“ Trude nickte dem Mann zu.

„Dann, auf Wiedersehen.“ damit setzte er seinen Weg fort.

Na das fing ja gut an. Kam der Mensch auch noch aus dem Haus, wo sie die Wohnung besichtigen wollte. Trude schaute abermals auf ihre Uhr, dass nie die Zeit vergehen will, wenn mal etwas zu früh ist. Wehe aber, wenn man zu spät dran ist, dann scheint der Zeiger immer zu rennen. Als sie aufschaute, sah sie eine junge Frau auf sich zukommen.

„Sind wir…“ wird sie gefragt.

„Ja, wir sind verabredet.“ Trude merkt wie ihr Herz immer schneller schlägt. „Wir haben miteinander telefoniert.“

„Freut mich, dann kommen Sie, ich zeige Ihnen die Wohnung. Übrigens habe ich zwei zur Auswahl. Fahren wir zuerst in den zweiten Stock, das ist die Wohnung, die in der Zeitung annonciert ist.“

Trude folgte der plappernden Frau, die ihr voran in das Haus geht, auf den Aufzug zeigt, aber ohne eine Antwort abzuwarten die Treppen nimmt. Im zweiten Stock blieb sie vor der rechten Wohnung stehen und öffnet die Tür. Sie führt Trude durch die Räume zeigt die Küche, das Bad. Dann aber sagte sie: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen noch einen Wohnung, oben im fünften.“

Das was Trude hier sah war für sie ein Traum. Die Wohnung war nicht größer, außer, dass eine Wendeltreppe im Wohnzimmer nach oben in ein weiteres kleines Zimmer führte, das wiederum auf eine großzügige Dachterrasse führte. „Das tolle an der Wohnung ist, dass sie kaum mehr kostet, als die unten. Die junge Frau nannte den Preis und Trude nickte nur. „Die nehm ich.“ wie fremdgesteuert, als wenn das gar nicht sie war, die da geantwortet hatte, hörte sie sich selbst das sagen.

„Fein“, antwortete die Frau, „ Wollen wir gleich einen Termin ausmachen, um den Mietvertrag zu unterschreiben?“

Trude nickte nur und kaum fünf Minuten später stand sie auf der Straße. „Was habe ich da gemacht? Bin ich verrückt? Durchgedreht? Oh, mein Gott! Ich brauche einen Kaffee.“ Wenig später saß sie im Einkaufszentrum in dessen unmittelbarer Nähe die Wohnung lag und trank bei Starbucks einen Kaffee. Langsam beruhigte sie sich, konnte wieder klar denken. Das war es dann also, das Ende ihrer Ehe. Nein, das war ihr neuer Anfang. Sie wird nun zu tun haben, ein paar Möbel zu kaufen und dann, wenn die Wohnung eingerichtet ist, dann …  Sie schlenderte noch durch das Einkaufszentrum, am Zeitungsladen hielt sie an, ging hinein, kaufte sich einige Zeitschriften und kurz entschlossen einen Quicktipp, da der Jackpot beachtlich angewachsen war.

Ein Woche später traf sie die junge Frau abermals vor dem Haus.

„Schön Sie zu sehen. Ich freue mich, dass alles so gut geklappt hat. Dann wollen wir mal die Übergabe machen.“

Nach einer Stunde war die Übergabe erledigt und Trude stand in ihrer Wohnung. Allein. Ohne Möbel, ohne alles. Aber mit einem Block in der Tasche und einem Meter. Sie ging an die Arbeit, nahm das Maß der Wände, verglich es mit dem Grundriss. Sie vergaß darüber die Zeit und es war schon spät als sie nach Hause kam, wo eine wütende Schwiegermutter sie empfing, einen schweigenden Heinz im Schlepptau.

„Heinzzz“, zischelte sie „jetzt sag doch auch mal was. Das geht so nicht. Kein Essen da, nichts ist fertig.“

Trude schaute Heinz in die Augen, ließ seinen Blick nicht los und fast schien es ihr, als erkenne er in diesem Moment, dass er verloren hatte. Er schüttelte nur stumm den Kopf. „Es wird schon einen Grund haben, dass sie heute so spät ist.“ fuhr er seine Mutter ungewohnt heftig an, drehte sich um und schlurfte in Richtung Küche davon.

„Ich habe Hamburger mitgebracht.“ sagte Trude in die entstandene Stille hinein.

„Das ist gut.“ ließ Heinz vernehmen noch ehe seine Mutter etwas sagen konnte.

Ein paar Wochen waren vergangen seit Trude die Wohnung gemietet hatte. Die Küche fehlte noch, und die wenigen Möbelstücke, die Trude mitnehmen würde.

Am Abend saßen sie in der Küche und aßen. Sie saß ihrer Schwiegermutter gegenüber und deren gehässiger Gesichtsausdruck ließ nix Gutes ahnen. Prompt fing die Alte an mit vollem Mund zu keifen: „Heinzzz“ hierbei spuckte sie kleine Kartoffelstückchen in Richtung des so genannten, der dies mit bösem Blick quittierte. „Heinzzz“ setzte die Alte abermals an „wusstest du, dass die da“ sie schaute in Trudes Richtung, „ein Verhältnis hat?“. Heinz, der es sich ungeachtet der Kartoffelstückchenattacke seiner Mutter einfach weiter aß, ließ sein Besteck auf den Teller sinken, schaute Trude an, die in schallendes Gelächter ausbrach. „Ich habe was?“ Sie schüttete sich aus vor lachen, während sie fieberhaft darüber nachdachte, was ihre Schwiegermutter meinte. Diese blieb die Erklärung nicht schuldig. „Ich habe sie heute mit einem Mann gesehen. Drüben im Einkaufscenter und ich sage dir die kennen sich gut. Die habe sich geküsst beim Abschied.“

Trude fiel ein Stein vom Herzen. Sie war da mit einem gemeinsamen Freund von Heinz und ihr verabredet gewesen, um mit ihm die juristische Seite der Trennung zu besprechen. Sie lachte weiter und sagte dann, sich eine imaginäre Lachträne wegwischend: „Ich habe Friedhelm getroffen und soll dir viele Grüße ausrichten.“ Und an ihre Schwiegermutter gewandt sagte sie: „War wohl nix, dumm gelaufen, gell?“.

Trudes und Heinz Töchter waren zu Besuch, die Schwiegermutter in ihrem Theaterkreis. Sie kamen nur selten. Trude konnte das nur Recht sein, sie wollte ihre Kinder nicht anlügen. Während sie aßen, sagte auf einmal ihre Große: „Stell dir vor, da hat vor ein paar Wochen jemand einen Quicktipp abgegeben, und zwar hier in Berlin, in unserem Bezirk, und hat den Jackpot abgeräumt und sich bis jetzt noch nicht gemeldet. Du bist das nicht zufällig, Mama, oder?“

Trude fiel ihr Quicktipp ein, der irgendwo sein muss, und schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass ich niemals Quicktipp spiele.“

„Na dann bin ich ja beruhigt. Wie kann man nur so blöd sein da nicht nachgucken, vor allem dann wenn alle Zeitungen darüber berichten, auch noch schreiben, dass der Schein in dem Zeitungsladen drüben im Einkaufszentrum ausgegeben worden war. Das muss man doch mal mitbekommen.“

„Na ja, vielleicht ist derjenige verreist, oder krank geworden. Irgendeinen Grund wird es schon dafür geben, dass er seinen Gewinn noch nicht abgeholt hat. Er hat ja bestimmt noch ein paar Wochen Zeit. Übrigens ich habe das gar nicht mitbekommen, dass hier in unserem Bezirk ein Jackpotgewinner gesucht wird.“ Trude nimmt sich vor später gleich mal den Schein zu suchen und nachzuschauen.

„Ich würde keine Stunde warten länger warten, als bis die Zentrale geöffnet hat, um meinen Gewinn abzuholen.“ antwortete die Große.

Zwei Wochen später, Heinz und Trude waren alleine. „Es ist vorbei, ich ziehe aus.“ eröffnet Trude das Gespräch.

„Hmm…“ Heinz nickt nur, als habe er ihr gar nicht zugehört.

„Mehr hast du nicht zu sagen?“

„Nein, mehr habe ich nicht zu sagen. Wieso auch, das ist wieder eine von deinen idiotischen Ideen mir das Leben schwer zu machen, mich unter Druck zu setzen.“

Ruhig, ganz ruhig spricht Trude ihn an: „Du irrst, das ist keines meiner Hirngespinste. Ich ziehe aus.“

„Ha! Und wo willst du hinziehen? Glaube ja nicht, dass ich einen Finger krumm machen werde.“

„Du brauchst keinen Finger krumm machen. Es ist alles bereits erledigt. Ich werde morgen packen und dann war es das.“

„Spinnst du jetzt völlig? Nicht genug, dass du einfach nach New York abgehauen bist, nein, Gnä‘ Frau hat sich jetzt auch noch in den Kopf gesetzt eine eigene Wohnung haben zu müssen.“

„Genau das ist der Grund, ich habe mir in den Kopf gesetzt einen eigene Wohnung haben zu müssen. Heinz, du tust mir leid, du verstehst nichts, absolut gar nichts.“

Als würde sich in seinem Kopf die Lampe der Erleuchtung einschalten, schwieg Heinz plötzlich. Er nickte kaum merklich.

„Warum?“

„Du fragst warum? Schau dich um. Wo liegen unsere Gemeinsamkeiten? Ich stehe alleine auf, frühstücke alleine, alleine jetzt auf uns bezogen, habe wenn, dann allenfalls das nette Gesicht meiner Schwiegermutter gegenüber sitzen, die niemals ein nettes Wort für mich hat, deren persönliche Putzfrau und Köchin ich bin und auf der sie nach Belieben rumtrampeln kann. Zurück zu uns. Was dann? Du kommst nie aus dem Knick, wir unternehmen nie etwas gemeinsam, ohne deine Mutter. Das ist egal was wir machen, brunchen zum Beispiel, da findest du hundert Ausreden, zum Ku’damm, draußen sitzen einen Kaffee trinken, könntest du zu Hause auch, sagst du. Am Abend? Da ziehst du deine Bier oder dein Wein und gehst weit nach Mitternacht schlafen, Stunden nach mir. Was ist daran gemeinsam? Nichts. Und wenn wir sagen würden wir lieben uns, dann würden wir uns anlügen. Es geht nicht mehr, ich kann und mag einfach nicht mehr. Irgendwann haben wir unsere Liebe verloren, haben uns verloren. Es klingt banal, aber können wir im Frieden auseinander gehen? Als Freunde und Freunde bleiben?“

Heinz dachte nach, schwieg sehr lange. „Wir gehen also getrennte Wege. Von heute an. Unterhalt? Wie willst du das regeln?“

„Lass‘ das Friedhelm machen. Wir müssen uns ja nicht gleich scheiden lassen. Aber ich muss raus hier, ich halte das nicht mehr aus.“

„Wenn ich dir helfen kann, Laptop anschließen, Fernseher, Telefon oder auch nur eine Lampe, lasse mich das wissen. Das ist also das Ende.“

„Ich weiß nicht, ob es das Ende sein muss, aber ein wenig sieht es danach aus. Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen.“

„Was ist passiert?“ Heinz‘ Schreckstarre schien sich langsam zu lösen. „Wann und warum haben wir uns verloren. Nach New York war doch Vieles besser, oder nicht?“

„Nach New York ja, aber heute, wie sieht es heute aus? Anders? Nein genauso wie vor New York und schlimmer. Ich will das nicht aufzählen, aber bei allem, am meisten stört mich deine herrische Art, die mich immer mehr an deinen Vater erinnert und die signalisiert, dass du dich für unfehlbar hältst. Deine Art alle anderen als geistig minderbemittelt zu betrachten, außer dich selbst. Das was mit dir zusammen hängt, das stört mich mehr. Wir beide haben uns verändert, keine Frage und es gibt sicherlich viel, das an mir nicht so ist, wie du es dir wünschst, so ist das nun mal. Zu all dem ist deine Mutter Beigabe, eine schwere, zugegeben, aber eben nur Beigabe.“

„Wissen es die Mädchen?“

„Nein. Sie wissen es noch nicht. Ich wollte sie nicht hineinziehen und es ihnen nicht vor dir sagen. Niemand weiß es und wir müssen es vorerst auch nicht an die große Glocke hängen. Es muss bis wir wirklich wissen was Sache ist, niemand mitbekommen.“

„Danke. Das lässt mich nicht ganz wie ein Trottel aussehen.“

Trude lachte. „Nein, du bist kein Trottel. Das ist nicht das Problem. Vielleicht wäre es einfacher, wenn du ein Trottel wärst, dann könnte ich dir sagen wo lang. Das ist das was mich am meisten stört, im Grunde bist du durchaus intelligent, aber nicht im Umgang mit anderen Menschen. Ich werde sie mal anrufen.“ Trude griff zum Telefon und rief nach und nach ihre Töchter an. „Sie werden gleich da sein. Keine Ahnung warum. Ändern können sie sowie so nichts. Ich brauche nicht viel, einige Möbelstücke, die sowieso mir gehören, Geschirr, das ich mir ersteigert habe. Bilder, mein Gott, die können wir digitalisieren und dann kopieren. Wir müssen das nicht gleich an die große Glocke hängen, können noch gemeinsam ausgehen, abwarten was dann noch passieren wird. Je weniger das wissen, desto besser ist das vielleicht am Anfang. Meine Wohnung ist hier in der Nähe. Ich gebe dir den Rat deiner Mutter nahe zu legen in eine betreute Seniorenwohnung zu gehen, sonst macht sie dir das Leben nur unnötig schwer.“

„Da muss ich Mama Recht geben.“ Mit diesen Worten kamen die Schwestern um die Ecke. „Seit Monaten sagen wir beide, dass Oma da raus muss. Unmöglich ist das, wie sie Mama behandelt. Unmöglich wie sie sich aufspielt, dabei ist sie so alt noch gar nicht, dass man sie dauerbedienen muss. Was glaubst Du weshalb wir nicht mehr gekommen waren? Ihre Art zu herrschen und sie versucht das auch immer und immer wieder bei uns.“

Heinz wirkte sehr nachdenklich als er seinen Töchtern zuhört. Es war das erste Mal, dass er überhaupt zugehört hat, sonst wischte er alles mit einer Handbewegung beiseite und zweifelte am Verstand seiner Gesprächspartner.

„Würdest du deinen Entschluss ändern, wenn ich meiner Mutter nahe lege..?“ Hoffnungsvoll schaut Heinz seiner Trude ins Gesicht,

„Nein, du verstehst nicht, ich habe bereits eine Wohnung und alles ist fertig eingerichtet, ich werde ausziehen. Du würdest es ihr nahe legen, ja. Aber wenn ich bliebe, dann würde sie auch bleiben. Ich weiß nicht was ich ihr getan habe, ob sie eifersüchtig auf mich ist. Keine Ahnung, das ist aber auch nicht mein Problem, nicht mehr. Es ist auch nicht das Hauptproblem.“

Sie sprachen zu viert über all das was schief gelaufen war in den letzten Jahren. Die Mädchen erzählten ihre Sichtweise, kritisierten ihre Eltern wo Kritik angebracht war. Sie würden ihrer Mutter am nächsten Tag beim Packen helfen, Heinz würde Kartons holen gehen. Als alles soweit besprochen war, kam Heinz Mutter nach Hause. Sofort ging sie auf Trude los: „Hast du es endlich geschafft einen Familienrat einzuberufen, wenn ich nicht da bin? Und ihr,“ sie schaut dabei ihre Enkelinnen an „macht da auch noch mit? Und du Heinzzz, auf welcher Seite stehst du?“.

 „Auf meiner Seite, Mutter, auf meiner.“ Als habe er eine solche Szenerie das erste Mal erlebt, wischte er sich ungläubig über seine Augen. Hilflos blickte er seine drei Frauen an, als wolle er fragen: „Was das immer so?“ und alle drei nickten, als wüssten sie welche Gedanken ihm im Kopf umgehen.

„Was bedeutet das? Hat sie dich jetzt gegen mich aufgehetzt?“

„Nein, Mutter, das tust du gerade selbst. Lass‘ uns bitte alleine, wir haben noch einiges zu besprechen.“

„Ich habe auch das Recht…“ zeterte die alte Frau.

„Nein, du nicht das Recht, das ist allein eine Angelegenheit von uns.“

Seine Mutter wollte noch etwas sagen, verkniff sich das aber als sie in sein Gesicht gesehen hatte. Wutentbrannt drehte sie um und ging.

Am nächsten Tag zog Trude aus.