Ihre traurigen Momente das sind die während dieser sie erkennt, dass irgendetwas nicht mit ihr stimmt. Nur was?

Wir waren inzwischen beim Neurologen, einem sehr netten Mann, der uns gleich jede Hoffnung genommen hat. Eine Hoffnung, die wir ohnehin nicht hatten. Nun soll noch ein MRT gemacht werden, wieder 3 Monate Wartezeit. Medikamente sagt der Doc hätten nur eine begrenzte Wirksamkeit, wenn überhaupt, aber enorme Nebenwirkungen.

Der medizinische Dienst war inzwischen auch da, der Bescheid steht noch aus. Ich schätze mal, dass Pflegestufe 1 herauskommen wird, 2 ist sie ohnehin wirklich noch nicht, aber auf dem Weg dorthin. Bei einer Einstufung in 0 werden wir Einspruch erheben, keine Frage.

Daran, dass sie manchmal nicht weiß wer wir sind, hat sich nichts geändert. Daran, dass sie sich enorm zusammen reißen kann, wenn ihre große Enkelin und deren Freund mal vorbeikommen, hat sich auch nichts geändert. Sie reißt sich auch zusammen, wenn unsere Kleine im Raum ist, das aber gelingt ihn nicht mehr immer.

Sie ist noch nicht angekommen in ihrer neuen Heimat, nicht wirklich, auch wenn eine gewisse Eingewöhnung durchaus stattgefunden hat. Manchmal denke ich, sie fühlt sich wie in einer Wohneinrichtung, fragt wann die anderen Leute zum Frühstück kommen, oder die Männer, die es nicht gibt. Sie hatte eine Zeit, da ist sie um 5 Uhr ins Bad gegangen oder ist mit langen Hosen ins Bett gegangen, weil sie nicht im Nachthemd sein wollte, wenn eben diese Männer da wären. Es tat mir leid sie enttäuschen zu müssen, ihr die Hoffnung auf einen netten Mann zu nehmen.

Eine kleine Marotte hat sie, sie zieht sich manchmal 5 Mal am Tag um. Wenn es ihr Spaß macht, dann soll sie das auch ein weiteres Mal tun. Schwierigkeiten hat sie eindeutig, wenn es um Feinmotorik geht, dazu gehört auch sich richtig ganz und platt auf einen Stuhl zu setzen, oder zu schneiden, oder die Gabel, den Löffel so zum Mund zu führen, dass nicht die Hälfte daneben geht. Das alles finde ich aber nicht tragisch.

Schlimm finde ich, wenn ihre Augen mich fragen warum das so ist wie es ist. Wenn sie mich ganz offen fragt wieso sie ihren BH nicht anziehen kann, oder keine Halskette mehr schließen kann. Dann trifft mich das bis ins Mark und ich weiß nicht was ich antworten soll. Soll ich ihr die Wahrheit sagen? Mein Gott sie ist 87 Jahre alt, soll sie in dem Bewusstsein, dass sie irgendwann nichts mehr kann 88 oder 89 Jahre alt werden? Soll sie sich darum sorgen, dass sie vielleicht irgendwann einmal wie ein kleines Kind gefüttert und gewickelt werden muß? Muss ich ihr die Wahrheit sagen? Und wenn ich nicht muss das ihr Sohn tun, oder ihr Arzt? Ist es nicht viel gnädiger, wenn sie um all das nicht weiß? Würde ich es wissen wollen? Ich glaube nicht. Nicht wenn ich in diesem Alter bin. Vielleicht wenn mich diese Krankheit mit 60 Jahren treffen würde, dann vielleicht um das noch regeln zu können was zu regeln ist.

Sie hilflos zu sehen ist eine Sache, dass sie das aber selbst merkt die andere. Sicher ich war mir auch darüber bewusst, dass das passieren würde. Aber ich bringe es nicht übers Herz meine Schwiegermutter, die für mich die beste Schwiegermutter der Welt ist, mit dem Wissen um ihre Krankheit zu konfrontieren. Ihren direkten Fragen warum sie dies oder das nicht mehr kann, weiche ich feige aus, tröste sie damit, dass das jedem mal passieren kann und sie würde sehen, morgen sähe es schon wieder besser aus. Und ich selbst hoffe, dass sie am nächsten Morgen sich alleine anziehen kann, ohne dabei selbst zu verzweifeln, Angst zu haben vor dem was da noch kommen kann. Ich denke schon, dass sie ahnt, aber hoffe für sie, dass sie nicht weiß.