Ende 2010 habe ich in dieser Rubrik den letzten Beitrag eingestellt. Heute habe ich einen Moment Zeit und, was sehr viel wichtiger ist, auch die Lust einen weiteren hinzuzufügen. Es ist ein Jahr vergangen und unsere Oma ist immer noch bei uns. Seit einem Sturz im April, oder war es schon Mai?, hat sie aufgehört alleine zu laufen. Sie ist so zerbrechlich, so durchscheinend geworden. Aber der Reihe nach.

Bis zu diesem Moment im Frühjahr, war sie rege unterwegs, am Tage wie in der Nacht auch. Wir haben, wenn wir schlafen gegangen sind, den Bereich, in dem sie sich aufhalten konnte, abgegrenzt und alle anderen so gut abgesichert, wie dies möglich war. Nicht weil wir nicht mochten, dass sie zum Beispiel in die Küche ging, sondern weil ich das nicht gehört haben und obendrein die Idee nicht prickeln fanden, dass sie vielleicht mitten in der Nacht zu kochen beginnt und unser Schlaf so ein erschreckendes Ende gefunden hätte. Das hat auch einigermaßen geklappt, dennoch ich weiß nicht, wie oft ich in der Nacht aufgestanden bin, sie irgendwo eingefangen und zurück ins Bett gebracht habe. Ihr Tag/Nachtrhythmus hat sie lange schon verlassen.

Das nächste Problem, das sich ergab, war dies, dass es immer schwieriger wurde und immer noch ist, ihr Essen anzureichen. Nicht falsch verstehen, ich übe keinen Zwang aus, aber wenn ich ihr zehn Mal den Löffeln anbiete, kneift sie acht Mal den Mund zu und zwei Mal macht sie ihn mehr oder weniger halbherzig auf. Das Frühstück geht ganz ordentlich, warme Speisen lehnt sie fast komplett ab. Den Grießbrei am Abend nimmt sie, aber das dauert inzwischen unendlich lange. Das ist absolut nervig, zumal es mich in einen Konflikt bringt: einerseits weiß ich nicht wirklich ob sie essen will oder nicht, andererseits will ich sie nicht zu etwas zwingen, das sie gar nicht möchte. Ich meine mein Grießbrei schmeckt absolut toll und das, was ich ihr zum Frühstück gebe auch, aber trotzdem ist das ein Problem. Leider kann sie sich sprachlich nicht mehr äußern was sie will und was nicht.  Man muss das erahnen.

Bis zu dem oben erwähnten Sturz waren die Mahlzeiten auch schon ein Problem, aber nicht so. Auch nicht, dass sie bißfeste Nahrung nicht kaut und schluckt, sondern nur kaut und nicht schluckt, deswegen auch der Umstand, dass sie fast ausschließlich Breikost bekommt. Püriertes herzhaftes Essen lehnt sie ab. Einzig, dass ich hier eine gute Kommunikation mit der Tagespflege habe, verhindert, dass ich mir das allzu sehr zu Herzen nehme.

Lange schon ist das nicht mehr die Frau, die ich kennen lernte, als ich eine junge Frau war. Meine Schwiegermutter nahm m ich mit offenen Armen auf und wir hatten viel Spaß miteinander, haben viel gelacht, gequatscht und auch getratscht und gegenseitig unser Inneres nach außen gedreht. Sie war mir immer mehr Freundin denn Schwiegermutter gewesen. All das ist lange her und natürlich gibt es die Ereignisse, die auch die beste Beziehung zueinander stören, aber so lange man die entstandenen Wellen wieder glätten kann, ist gut.

Mit ihrer Nicht bin ich die Jahre durchgegangen und wir haben versucht den Anfang der Krankheit einigermaßen zu finden und sind uns absolut sicher, dass der in einem Zeitraum vor gut zehn Jahren liegen muss. Es sind einzelne Ereignisse, die das belegen. Ich gebe ein Beispiel: Egal ob Geburtstag, oder Samstag oder einem anderen Wochentag, es gab immer um 15 Uhr Kaffee bei meiner Schwiegermutter und auch ihren Schwestern. Sie war dann schon um 14 Uhr vor der Tür gestanden und hat darauf gewartet im Auto mitgenommen zu werden und dies nicht nur ein einziges Mal, auch die typischen Wortfindungsstörungen hat sie schon sehr lange und auch, dass sie mal dies oder jenes verlegt hat. Das Bild insgesamt, nicht die einzelnen Ereignisse, lässt einen relativ exakten Zeitrahmen zu in dem die Krankheit ihre ersten Auswirkungen gezeigt hat.

Seit jenem Sturz, von dem ich eingangs geschrieben habe, hat sie einen Rollstuhl, weil sie kurz darauf aufgehört hat zu laufen, hat ein Pflegebett, weil sie einige Zeit in keinem guten Zustand gewesen war. Ihr wurde Pflegestufe drei zuerkannt und das ohne Probleme.

Nun ist sie im letzten Stadium ihrer Krankheit angekommen und mehr und mehr verlässt das Leben ihren Körper, nehmen Infekte zu und müssen mehr medizinische Hilfestellungen gegeben werden, um Leid von ihr abzuwenden. Trotzdem ist ihr Händedruck noch kraftvoll und wenn man sie nachdem ihr den Rücken gewaschen hat zurück drehen will, braucht man Kraft um ihre Hand vom Bettholm zu lösen, an dem sie sich festgehalten hat. Zwei schwere Infekte hat sie inzwischen überstanden und in jedem hat sie ein wenig Kraft gelassen, Körper gelassen, Gewicht gelassen, das sie nicht wieder aufholen kann. Die letzten beiden Infekt haben ihr Kraft genommen, die sie nicht wieder aufholen konnte. Was der nächste Infekt bringen wird, das weiß ich nicht, das werden wir sehen.