Emotionen
Für die Vereinszeitung von www.leben-ohne-dich.de schreibe ich ab und zu einen Artikel. Hier treffen sich verwaiste Mütter, Väter und Geschwister und sie machen einen guten Job. Wo sonst kann eine trauernde Familie Menschen finden, die bedingungslos zuhören, weil sie den Schmerz kennen. Niemand möchte mit seiner Trauer anderen zur Last fallen und jeder in einer verwaisten Familie muss irgendwie mit dem Verlust fertig werden und nicht immer kann man sich gegenseitig helfen. Deshalb bin ich, auch wenn Andreas lange schon ein Sternenkind ist, ab und zu sehr gerne bereit für die Vereinszeitung zu schreiben. Hier mein Artikel für die letzte Ausgabe:
Emotionen gehören zu uns dazu, sind Teil dessen, was Menschen nicht lernen können, sie tragen sie in sich, mehr oder weniger ausgeprägt. Liebe, Glaube, Hoffnung ich meine das drückt das sehr präzise aus und das war der Leitspruch für die Verabschiedung von Andreas, der im Jahr 2005 über die Regenbogenbrücke gegangen ist. Eine verdammt lange Zeit. Zeit, die ich trotzdem gerne gelebt habe, ohne ihn, aber doch mit ihm. Er lebt dort weiter, wo ihn mir kein Mensch, kein Tod entreißen kann: In meinem Herzen.
Liebe, Glaube, Hoffnung und da gehört auch noch für die verwaisten Eltern Trauer, Verzweiflung und Hasse dazu. Hass über den Tod, der sich genommen hat, was ihm so früh nicht gehört. Verzweiflung darüber, weil man nicht weiß, wie man atmen, essen, leben, lieben, lachen soll, überhaupt lachen darf. Trauer dazu, die der Sonne ihre Wärme nimmt und sie nicht mehr scheinen lässt, die Dunkelheit über die Seelen legt, Menschen an den Abgrund stellt und leise ruft: Spring! Aber trotzdem, irgendwie überlebt man, irgendwie kommt man da durch. Mit Hilfe und Unterstützung der Familie und den Freunden, aber auch und vor allem mit der Unterstützung der Macher und Mitglieder von „Leben ohne Dich“. Sie legten den Grundstock für mich, um zu überleben und um wieder leben zu können.
Es werden im Sommer vierzehn Jahre sein, dass er gegangen ist, zum gleichen Datum, drei Jahre nach seiner Tante. Schlechtes Datum und ich bin immer noch heilfroh, wenn dieser Tag durch ist. In diesen langen Jahren hat sich der Schmerz gewandelt, er ist nicht weitergezogen zu anderer Stelle, er ist immer noch da, aber er ist lebbar, beherrschbar geworden. Die Trauer nicht, sie ist immer noch da, hat sich nicht gewandelt, lässt das Lachen und das Weinen zu und überrollt mich gelegentlich immer noch, unerwartet und schlagartig wie ein Tsunami. Das ist nun mal so und ich lasse es zu. Das kann ein Lied sein, ein Schmetterling, ein M&M, eine Situationskomik egal was, dann wird das Bewusstsein, dass Andreas nicht mehr da ist, zur Qual. Ich trage sie, die Trauer bei mir, lasse sie wüten, weil ich weiß, dass sie wieder nachlässt, dass sie sich wieder beruhigt.
Ich habe allerdings auch Strategien entwickelt, um manchmal schmerzhaften Fragen zu entgehen. Das tue ich immer noch. Fragen die alltäglich sind, über die Menschen normalerweise nicht nachdenken. Zum Beispiel wie viele Kinder ich habe, wenn ich selbst im Krankenhaus gewesen bin. Natürlich leugne ich mein Kind nicht, aber ich habe während der vierzehn Jahre gelernt, dass manchmal der Weg des geringsten Widerstandes, ein guter Weg ist und murmle etwas von zwei Kindern, von meinen Töchtern. Ich möchte mir mitleidige Blicke von Menschen ersparen, die mir fremd sind und die, behandelnder Arzt hin oder her, niemals meinen Schmerz und meine Trauer nachvollziehen können, die vielleicht auch geneigt sind voreilige Schlüsse ziehen. Das vereinfacht mein Leben ungemein. Andreas fände das gut, verstecken spielen, würde ich ihn fragen können. So verfahre ich heute, stets selbstbewusst und dem Wissen, dass er unauslöschlich in meinem Herzen lebt.
Es werden im Juli vierzehn Jahre werden. Vierzehn Jahre, in denen kein Tag vergangen ist, an dem ich nicht an Andreas gedacht habe, mal sehr traurig, mal lachend, oder einfach nur so. Ich habe ein Buch über ihn, sein Leben mit mir geschrieben, kein Buch der Trauer, ein Buch über sein Leben. Andreas war mit einem Gendefekt geboren worden und hätte ich das Buch über ihn nicht geschrieben, so hätte ich niemals erfahren, dass er das Dravet Syndrom hatte, eine der schwersten epileptischen Krankheiten, die ein Kind bekommen kann. Ich habe lange nicht mehr nach einer Diagnose gesucht, aber sie hat mich dennoch gefunden.
Dieser Tage wird Andreas 39 Jahre alt werden. Ich schreibe er wird werden, denn meine Überzeugung, und nur so kann ich gut leben, ist die, dass er, wo auch immer, seinen Geburtstag feiern wird. Ich werde mit/ohne ihn feiern. Wie seit 2005, das Jahr in dem er gegangen ist.
Es sind vierzehn Jahre vergangen und ich bin dankbar für die Zeit, die ich bei Leben ohne Dich verbringen durfte, wo ich damals aufgefangen wurde. Ich habe mir mein Leben mit/ohne Andreas zurechtgebastelt, es lebbar gemacht, mit meinem Mann, meinen Töchtern und ihren Familien. Wir kommen zurecht, jeder für sich und alle gemeinsam. Jeder Mensch ist anders, jeder trauert auf seine Art, aber eins ist uns allen gemein: niemals aufgeben, niemals sich ergeben, denn irgendwie sind sie, wenn auch körperlich nicht, immer da, in unseren Gedanken und unseren Herzen.