Archiv
Kategorien

Luxus: Für ein Stück Brot

Heute stelle ich eine Geschichte ein, die ich im Zusammenhang mit dem Monatsthema „Luxus“ bei ava-magazin.de geschrieben habe. Als ich von diesem Thema hörte, gingen meine ersten Gedanken zu wahrem Luxus, zu Yachten, Diamanten, schnellen Autos, Glanz und Glamour. Was für mich wie Luxus erscheint ist für Menschen in dieser Liga Normalität. Was aber wenn für Menschen ein Stück Brot zum Luxus wird, das für mich tägliche Selbstverständlichkeit ist? Was wenn sie sich für ein Stück Brot verkaufen müssen? Ich begann zu schreiben und diese Geschichte nahm ihren eigenen Lauf, bis ich an einen Punkt kam, an dem ich mich selbst gefangen hatte. Also beendete ich das Schreiben für diesen Tag, schlief eine Nacht darüber und wusste am nächsten Morgen wie es enden würde. Dorothea, Chefredakteurin und Inhaberin des ava-magazins.de (hinführender Link wie immer auf der rechten Seite) gab ihr den letzten Schliff. Manchmal falle ich immer wieder darin zurück ohne Punkt, Komma und Luft zu holen zu schreiben. Das hat sie geglättet und daraus ist die folgende Geschichte entstanden:

Für ein Stück Brot

eine Geschichte von Gitta Becker

Ihre nackten Füße schmerzten, Hunger quälte sie. Fast unsichtbar ging sie durch das Armenviertel der Stadt. Wenn ich groß bin, dachte sie, dann sorge ich für Kinder wie mich.

Sie war elf als ihre Mutter es nicht mehr ausgehalten hat und sich den goldenen Schusssetzte. Seitdem lief sie durch die Straßen, verbarg sich am Tag, holte sich aus den Mülltonnen faulig riechendes Essen. Manchmal stritt sie mit einem Hund darum, der sich wiederum, wenn er das Stück erbeutet hat mit anderen Hunden weiter stritt. „Ich werde groß sein, erwachsen sein und dann, dann werde ich reich sein, in Luxus leben und …“. Sie stand still, ganz leise bewegte sie sich vorwärts, da war sie wieder die dunkle Stimme: „Komm her, Du keines Biest. Ich tu dir nicht weh! Ich will doch nur mit dir spielen!“.

Sie schmeckte das Salz ihrer Tränen, erinnerte sich an den Schmerz als er in sie eingedrungen war. Gegen ein Stück Brot war sie mitgegangen. Als er sich zur Seite rollte, nahm sie gegen den Schmerz alle Kraft zusammen, ließ sich von dem schmuddeligen Bettgleiten und entwischte ihm. Obwohl er sie fast schon eingeholt hatte, verschwand sie, gerade als er nach ihr greifen wollte. Sie wird den Geruch seines Atems, ein Gemisch aus Zigaretten und Alkohol, niemals vergessen, auch nicht das billige Parfüm und nicht die Narbe, die wie ein Dreizack aussah, auf seinem Hals. Sie lief weiter und weiter, spürte den Durst nicht und nicht den Hunger, der sie seit Tagen quälte.

In diesem Augenblick riss das metallene Klirren des Weckers sie aus ihren Träumen. Sie schlug die Augen auf, schaute sich um. Tief atmete sie ein, nahm den Geruch der vertrauten Umgebung wahr. Seit Tagen träumte sie immer und immer wieder diesen einen Traum und immer dann, wenn er sich im Licht der einzigen Laterne umdrehen will, um ihr sein Gesicht zu zeigen, wachte sie auf, oder wurde sie von ihrem Wecker geweckt. So sehr sie sich auch bemühte, diesen Mann wird sie in ihrem Leben nicht vergessen.

Kein Detektiv hat ihn finden können, obwohl sie scharenweise die Straßen der Stadt durchkämmt haben. Niemand auf den ihre schemenhafte Beschreibung passte, und schon gar niemand, der eine dreizackige Narbe am Hals hatte.

Sie stand auf, legte auf dem Weg ins Bad ihr seidenes Nachthemd ab, stieg in die Badewanne, in die ihre Hausangestellte das Wasser hat einlaufen lassen. Das warme Wasser ließ sie ein wenig entspannen, den Traum ihrer Kindheit vergessen. Wie oft hat sie

von dem Luxus geträumt in einer solchen Badewanne zu liegen, genug zu essen zu haben. Sie hat von einem Mann und von Kindern geträumt, aber so lange sie sich dieser Geißel ihrer Kindheit nicht entledigt hat, so lange wird sie keine Ruhe finden.

Nachts, wenn sie unterwegs war, etwas zu essen zu suchen, mied sie die Straße in der er sie gefunden hat. Sie schlug sich einige Jahre durch, niemand vermisste sie, niemand suchte nach ihr, außer ihm. Manchmal, wenn sie in der Nähe war, dann hörte sie ihn, wenn er einem anderen Mädchen ein Stück Brot anbot. Dann schrie ihr Inneres auf, sie biss sich ihre Lippen blutig um nicht zu rufen: „Lauf! Lauf um Dein Leben!“

Sie stieg aus der Badewanne, duschte sich den Schaum ab, wusch sich die Haare und trocknete sich ab. Als sie wenig später die Treppe hinab stieg, um in der Küche bei Maja, eine ihrer guten Seelen im Haus, zu frühstücken, war sie sich all des Luxus‘, der sie umgab, bewusst. Jede Minute, jede Sekunde, da sie in diesem Räumen lebte, war sie dankbar dafür, dass sie der Missie gefolgt war.

Die alte Dame hatte sich in die Slums verirrt und eine Horde Jugendlicher lief ihr bereits hinterher, bereit sie auszurauben. Sie zog die Dame in den Schatten eines Hauses, den Finger auf ihren Mund gelegt: „Pssst, leise, keinen Ton“, wies sie die vor Angst erstarrte Frau an. Am nächsten Morgen als es hell wurde, führte sie die Dame zurück zur geteerten Straße.

„Sag mir wie Du heißt, wo Du wohnst. Wo ist deine Mutter, dein Vater. Du bist hier ganz alleine?“ Noch ehe die Frau mehr Fragen stellen konnte war sie im Dickicht der Baracken verschwunden. Womit sie nicht rechnete, war, dass die Frau nach ihr suchen ließ. Es dauerte Wochen bis man sie gefunden hatte und ein zappelndes und strampelndes Wesen, verdreckt von oben bis unten, in das Haus des Luxus gebracht wurde. Missi wusch sie und als der Dreck ab war, erschien ein wunderhübsches junges Mädchen mit einer Haut, die wie hellbrauner Satin schimmerte. Die alte Dame adoptierte das Mädchen, lehrte sie lesen und schreiben, schickte sie zur Schule, brachte ihr bei, was sie wissen musste, auch wie sie sich selbst verteidigen konnte. Als eines Tages Missis Herz einfach aufhörte zu schlagen, ließ sie eine gebildete junge Frau zurück, deren Hände töten konnten.

All der Luxus gehörte nun ihr. Doch so sehr sie ihn auch genießen konnte, vergaß sie an keinem Tag, zu keiner Stunde, wo sie herkam und was sie erlebt hat. Missie sagte immer zu ihr: „Du musst tun, was Du tun musst, aber sieh Dich vor, dass Rache nicht dein Herz zerfrisst.“ Sie war getrieben davon ihn zu finden, sie wusste, dass sie erst dann Ruhe finden würde, wenn sie ihn aufgespürt und getötet hat. Jede Nacht trieb es sie in die Slums. Schwarz gekleidet huschte sie durch die Häuser, aber der Mann war verschwunden. Doch sie war sich sicher, eines Tages würde er wieder kommen.

Dann bekam sie eine Einladung zu einem Empfang in einer der vielen Botschaften der Stadt. Erst als Maja sie an ihre Pflichten erinnerte und an das Vermächtnis der Missi, nahm sie die Einladung an. In ihrem langen Kleid aus edler Seide, das fließend ihren Körper umschloss, der einfachen Perlenkette auf ihrer gebräunten Haut, sah sie aus als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan als den Luxus, der sie umgab, zu genießen. Der Botschafter begrüßte sie wie eine alte Bekannte, bedauerte den Tod seiner alten Freundin Missi und zog sie in das Innere des Hauses. Er plauderte mit ihr Belangloses, stellte sie hier und da anderen Gästen

vor. Dann betrat ein Mann den Raum, der sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Es waren seine Bewegungen, die ihre Erinnerung herauf beschwor, untermauert von dem Mal an seinem Hals, das sie erkennen konnte als er seinen Schal abnahm. Sie wollte fliehen, laufen so schnell sie konnte, diesem Ort entfliehen. Sie tat nichts von all dem. Sie blieb.

Sie beobachtete den Mann, schätzte seine Größe, sein Gewicht ab, während der Botschafter ihn begrüßte. Nicht gerade wie einen alten Freund, sondern wie einen Gast, den man gezwungen war einzuladen. Sie mischte sich unter die anderen Gäste, so weit entfernt von ihm wie es ihr möglich war, trotzdem war es ihr nicht möglich ihm vollkommen zu entgehen. Der Botschafter war es, der dafür Sorge trug, dass sie ihm vorgestellt wurde. Gleich nachdem sie ihm ihre Hand reichte, entzog sie diese wieder.

„Na, Schönheit“, raunte er ihr ins Ohr, „nachher noch etwas vor?“

Sie fröstelte, ein Schaudern lief durch ihren Körper, die Bilder, dir Gefühle, die Schmerzen jener Nacht machten sich breit, auch wenn sie das versuchte niederzukämpfen. Ohne eine Antwort wandte sie sich ab, ließ ihn einfach stehen.

Er ließ sich aber nicht abspeisen, doch nicht von so einer. Wer konnte dieses Mädchen, diese junge Frau schon sein? Sie würde sicherlich ihren Preis haben, davon war er überzeugt. Sofort regte sich alles in ihm.

 „Warum soll ich für die bezahlen, wenn ich mir zartes, junges Frischfleisch holen kann?“

Trotzdem ärgerte ihn die Abfuhr, die er von dieser bildhübschen, jungen Frau erhalten hat. Für ihn bestand kein Zweifel, dass er eine Prostituierte vor sich hatte. Er kannte alle Geschäftsfrauen der Stadt, sie war keine davon. Er beobachtete sie ohne einen Hehl daraus machen. Jede ihrer Bewegungen, verursachte ein Prickeln in ihm. Er wollte sie haben, unbedingt. Wenn er sie nicht freiwillig bekam, dann würde er sie sich nehmen. Langsam näherte er sich ihr, stand hinter ihr, flüsterte ihr ins Ohr, er würde jeden Preis bezahlen.

Sie drehte sich nicht um, als sie ihm leise in aller Ruhe zuflüsterte, dass sie ihn umbringen werde.

Zuerst stockte er, dann lachte er und antwortete kühn, dass er sich auf dieses Spiel, das er nicht kenne, freue.

Wo und wann sie auf ihn warten würde.

Sie verließ die Veranstaltung früh, konnte seine Nähe nicht mehr ertragen. Zuhause angekommen, zog sie sich um: schwarzes Shirt, eine enge, schwarze, elastische Hose, ihr volles Haar band sie einfach zusammen. Sie nahm ihre Waffe, ihre Handschuhe. Als sie das Haus verlassen will, stellte sich ihr Maja in den Weg:

„Missi sagte immer, dass dieser Tag kommen würde. Komm zurück, Du hast eine Mission zu erfüllen.“

Damit machte sie den Weg frei. Sie nahm das Motorrad, das ging in der von Autos chronisch

verstopften Stadt schneller. In der Nähe der dunklen, stinkigen Straße in der er sie aufgegriffen hatte, stellte sie es ab. Wie eine Raubkatze schlich sie durch die Dunkelheit, spähte die Straße zwischen Barracken entlang. Sie wusste er würde kommen. Ab und zu huschten kleine Schatten zwischen den Barracken hervor, um in der nächsten Lücke wieder zu verschwinden. Sie atmete den fauligen Geruch ein, erinnerte sich an den Anblick ihrer Mutter, als sie diese mit der Nadel im Arm tot auffand. Sie musste nicht lange warten, dann kam er.

 „Kommt her ihr kleinen Schätzchen, ich habe hier leckeres Brot für euch.“

Nichts rührte sich. Sie erinnerte sich daran, wie es war. Sie stand reglos und er konnte sie nur deswegen sehen, weil in diesem Moment die Wolken den Mond freigaben. Da stand sie in hellem Mondlicht und er musste nur noch zugreifen. Sie schlich sich an ihn heran und es war, als wiederhole sich das Spiel: die Wolken gaben den Mond frei und gerade als er nach dem Mädchen greifen wollte, stach sie zu.

Sie packte das Mädchen, fragte es nach seinen Eltern und, als dieses den Kopf schüttelte, nahm sie es mit in ein neues Leben – in dem ein Stück Brot kein Luxus war.

 

Kommentieren