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Dravet Kinder

Vor ein paar Wochen wurde ich gefragt, ob ich zu einem geselligen Treffen der regionalen Dravet-Gruppe kommen möchte. Ich habe erst darüber nachgedacht, dann habe ich zugesagt. So war ich gestern Abend dort gewesen, in einem netten, kleinen italienischen Restaurant nahe der S-Bahn-Station Hackescher Markt, drei Fußminuten davon entfernt. Ich war 2010 bei dem ersten bundesweiten Treffen dabei, durfte aus meinem Buch „Gänseblümchen“ vorlesen. Bevor ich vom Samstag erzähle, möchte ich mich auf diesem Weg nochmals bedanken, dass ich kommen durfte.

Es war keine einfache Entscheidung eine Einladung anzunehmen. Einerseits habe ich mich unglaublich darüber gefreut, anderseits lastete das Wissen, dass es auch für manche Eltern problematisch sein könnte, einer Mutter zu begegnen, deren eigenes Kind an der Krankheit oder den Folgen davon, ein Sternenkind ist. Das ist für mich eine emotionale Schlittenfahrt, genauso wie für die Anwesenden. Aber das war nur ein Randthema und das war gut so. Ich habe Eltern erlebt, deren Kinder alle schwer krank sind, die heute nicht wissen, was sie morgen erwarten wird, weil diese verfluchte Krankheit tagtäglich ihr Gesicht ändern kann. Was heute geht und gut ist, führt am nächsten Tag ins Gegenteil. Wo heute die Hoffnung liegt, das enttäuscht morgen. Von den Fortschritten, die heute gemacht werden, bleibt ein Teil, aber dieser Teil muss immer und immer wieder davor bewahrt werden, wieder zu verschwinden, sich einfach in Luft aufzulösen. Das geht nicht in einer Kurve oder einer Geraden immer nach oben, das ist ein tägliches Auf und Ab, das sind Seitwärtsschritte und immer der Versuch aus dem Rückwärtsgang auszukoppeln. Alle Eltern, die ich gestern Abend getroffen habe, sind bereit für ihre Kinder alles zu tun, sie würden barfuß durch die Wüste gehen, jeden Berg erklimmen und ist er noch so hoch, jede Eiswüste leicht bekleidet durchlaufen und sie würden auf jedem noch so schweren Weg ihre Kinder tragen, über jede Meile, jeden Kilometer, wenn man ihnen verspräche, dass am Ende des Weges ihre Kinder geheilt sind. Ich weiß, alle Eltern werden für ihre Kinder einmal zum Mond fliegen und zurück, das ist nicht die Frage. Aber diese Eltern tragen diese Anstrengung jeden Tag und jede Nacht. Diese Anstrengung, diese  Last, das Gefühl zu haben immer und immer wieder zu verlieren, damit zu leben, dass diese Krankheit ihnen immer und immer wieder – wie einige selbst sagen – den Stinkefinger zeigt, das bürdet sehr schwer, das unterscheidet sie von den Eltern gesunder Kinder. Das Dravet-Syndrom ist eine Krankheit, die sich heute noch nicht oder nur sehr schwer beherrschen lässt. Die Bandbreite der Anzahl an Anfällen, die Kind und Eltern täglich zu bestreiten haben, lag an diesem Abend  bei 30 Anfällen in Serie bis nur wenige im Monat, wofür es aber keine Garantie gibt, dass das so bleibt. Die Eltern mit den vielen Anfällen hoffen am Ende eines jeden Tages darauf, dass der nächste besser werden wird, und die Eltern, deren Kind im Augenblick nur wenige Anfälle hat, hoffen darauf, dass am nächsten Tag die Krankheit nicht den Stinkefinger auspackt. Sie alle wissen, dass Besserungen und Fortschritte immer nur auf tönernen Füßen stehen. Sie machen sich aber auch Gedanken um die Geschwister, dass diese nicht zu kurz kommen, nicht unter all der Last leiden müssen, dass sie trotzdem eine Kindheit haben, die so unbeschwert wie nur möglich ist. Das klingt schwermütig, bedrohlich und ich weiß, eigentlich will man gar nichts davon wissen, möchte damit nicht belastet werden, aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass tagtäglich Eltern um das Leben ihres Kindes kämpfen, Krankheiten besiegen wollen, Linderungen schaffen wollen, auch wenn sie wissen, dass dies nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Das gehört zu all den Menschen, die ich gestern getroffen habe, dazu, zu ihrem Leben und dem ihrer Kinder, auch wenn sie nur zu gerne darauf verzichten könnten. Wie alle anderen Eltern auch, deren Kinder schwer krank sind.

Ich bin Menschen begegnet, die unglaublich offen und aufgeschlossen sind, die diese wenigen Stunden genießen konnten, wohlwissend, dass ihre Kinder zu Hause gut betreut waren. Sie alle hatten aber auch und absolut berechtigt ihre Handys griffbereit und im Blick, um jederzeit fluchtartig gehen zu können, sollte es Probleme geben. Hätte ich auch gehabt, hätte es damals schon Handys gegeben. Was klingt, als hätten Andreas, seine Familie und ich in der Steinzeit gelebt, was mir auch in der Tat manchmal so vorkommt.

Es war ein sehr schöner Abend mit einer unglaublich angenehmen Atmosphäre. Ich war keine Außenseiterin, weil mein Andreas ein Sternenkind ist, war da mitten drin. Aber ich habe mitgelitten, durch all das, was ich gehört habe. Ich wurde gefragt wie Andreas‘ Schwestern die Krankheit ihres Bruders gelebt haben. Ganz sicher wurden sie durch ihren kranken Bruder in ihrer Entwicklung beeinflusst, aber beide Mädchen sind heute wundervolle, junge Frauen. Ich habe ein Jahr lang gezittert, dass meine Enkeltochter frei ist von dieser Krankheit und empfand es als ein unglaubliches Glück, als sie ihren ersten Geburtstag gefeiert hat, ohne zuvor auch nur im Ansatz irgendwelche Anzeichen zu haben. Das war mich nach der Geburt meiner drei Kinder das höchste Gut, das ich jemals bekommen habe, das tollste Ereignis, das ich erleben durfte. Das ist mit keinem Gold, keinen Diamanten, keinem materiellen Gut auf der Welt aufzuwiegen. Gestern Abend wurde so Vieles gegenwärtig, das ich nicht vergessen habe, das ich nur in einer besonderen Schublade abgelegt habe. Ich weiß, das Leben geht immer weiter, ob man das nach tiefgreifenden Ereignissen möchte oder nicht, das wissen auch alle Eltern, der Kinder krank sind, egal welche Krankheit das auch immer ist.

Es wird Weihnachten werden, in ein paar Wochen, es ist Spendenzeit ohne Ende. Der Verein Dravet e.V. freut sich aber ganzjährig über Spenden. Der Verein, die Vereinigung der Eltern der Dravet-Kinder ist noch jung und er braucht eine Stimme, der braucht diese Unterstützung, um Projekte gestalten zu können, um lauter werden zu können, weil es mehr und mehr Kinder mit dieser Genmutation gibt und geben wird. Ich bitte selten um Spenden, aber hier kommt jeder Euro an die richtige Stelle. Danke.

 

3 Kommentare zu „Dravet Kinder“

  • Britta says:

    Es war in der Tat ein wundervoller Abend, schön das du mit dabei warst! Danke liebe Gitta für diesen ergreifenden Bericht, der mir aus dem Herzen spricht! Liebe Grüsse von Britta

  • Russo Rene says:

    Sehr Emotionaler Bericht. Monica Russo meine Frau war auch am trffen mit dabei mit Britta
    Lg und alles gute
    René

  • Gaby Van der Boom says:

    Ich mußte sehr mit Tränen kämpfen, als ich den Bericht gelesen habe.

    Mein Sohn hat diese Krankheit auch. Man weiß, daß man nicht alleine ist!!!

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