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IRMA

Es ist lange her, dass ich das erste Mal die USA besucht habe. Das war 1997 im März/April gewesen und es war „spring break“ in Florida. Ausgelassene Lebensfreude von Schülern und Studenten während der Semesterferien, nach Schulabschlüssen und was immer. Wir hatten damals keine Zimmer gebucht und haben gelegentlich bedauerndes Lächeln geerntet, wenn wir nach Übernachtungsmöglichkeiten gefragt hatten. Aber trotz allem, wir mussten nie auf der Straße schlafen.

Wir kamen einige Male wieder, besuchten auch andere Bundesstaaten, beendeten aber fast immer unseren Urlaub damit, dass wir uns noch einige Tage Badeurlaub in Florida gegönnt haben und das, ab dem zweiten Besuch, in einem ganz bestimmten Hotel. Das Haus steht in St. Petersburg. Wie wir es gefunden hatten? Ich weiß das nicht mehr. Wir wollten im Zimmer eine kleine Küchenzeile und das Hotel bot das an.

 

Gestern wütete genau dort IRMA. Wir haben das verfolgt und finden es für jedes Bauwerk, das einem Hurrikan zum Opfer fällt, schade. Jedes Menschenleben, das er kostet, ist ein Menschenleben zu viel, denn im Vorfeld zur Ankunft von IRMA wurde eindringlich gewarnt. Massenevakuierungen wurden angeordnet, Touristen hatten zu gehen, Einheimischen wurden sie ans Herz gelegt. Soll sich D.T., dessen Haus Mar-al-Lago im Einzugsgebiet des Hurrikans lag oder noch liegt, fragen, ob es sinnvoll war, das Pariser Abkommen verlassen zu wollen. Ob IRMA ein Fake ist? Ein Einfall der Chinesen, um die amerikanische Wirtschaft zu schwächen?

 

Gestern Abend sind wir bei CNN hängen geblieben. Na ja, zugegeben, den ganzen Tag über lief CNN. Die Berichterstattung dort, ist deutlich intensiver als bei uns hier. Was bei uns hier als gaffen bezeichnet wird, das läuft dort einfach. Auf jeden Fall warteten an verschiedenen neuralgischen Punkten Reporter, die, wenn angesprochen über den Stand der Dinge berichtet haben. Im Laufe des Abends veränderte sich das Bild und nur noch zwei Journalisten meldeten sich direkt aus Naples, wo das Auge von IRMA erwartet wurde.

 

Amerikaner sind ein eigenes Volk, in seinem Ursprung zusammengewürfelt aus Flüchtlingen, Gläubigen, Emigranten und Ureinwohnern. Das Verständnis von Freundschaft behandeln sie locker und „my friend“ hat eine andere Bedeutung, als es das bei uns hat. Natürlich gibt es auch jene Freundschaften vom Sandkasten bis ins Alter, keine Frage, aber sie nehmen eben alles „easier“ als wir das tun. Gleich beim ersten Aufenthalt in den USA haben wir, in amerikanischem Sinn, „Freunde“ kennen gelernt, mit ihnen haben wir immer noch Kontakt. Wir haben sie im Jahr darauf in Indiana besucht, bevor wir unseren „roundtrip“ begonnen haben.

 

Wir waren überrascht gewesen, wie wenig sie informiert waren und, dass sie zum Beispiel erstaunt waren, dass wir in Deutschland auch Mikrowellen besitzen und, dass der Hitlergruß verboten ist. Den Fall der Mauer hatten sie mitbekommen, aber das war es dann auch schon gewesen. Die Presse interessierte sich genauso wenig für Europa, einzelne Nachrichten fand man in der Zeitung, das aber nur sehr spärlich. Ihr Nichtwissen versteckten sie hinter einer verbindlichen Freundlichkeit, die geradezu niedlich rüber kam. Die Einstellung zu unterschiedlichen Rassen erschien uns bei einigen Amerikanern sehr abstoßend, was uns sehr befremdete und wir den Kontakt zu jenen dann vermieden haben.

 

Viele Amerikaner leben mit einer Leichtigkeit, die durch das Platzen der Immobilienblase beeinträchtigt wurde. Aber trotzdem leben sie insgesamt freundlicher. Ich denke, dass wir das durchaus beneiden, dass wir uns diese Leichtigkeit wünschen.

 

Ich gestehe, dass ich ein Fan amerikanischer Nachrichtensendungen bin. Es hat sich hier einiges verändert, der Blick wandert nach Europa und zu anderen Kontinenten heute obligat ist. Aber sie scheuen sich nicht den ganzen Tag über ein Ereignis wie IRMA zu berichten. Bei uns heißt es dann: „Wenn Sie immer unterrichtet sein wollen, dann gehen Sie bitte auf Nachrichten.de.“ Deutsche Nachrichtensender ticken so nicht, sie senden nicht den Tag über unausgesetzt von einem kommenden und eingesetzten Ereignis.

 

Die ganzen Tage bevor IRMA überhaupt Schaden angerichtet hat, war sie im Blick der Nachrichtensender. Je näher sie kam, sie sprachen dann von IRMA und es war eine „sie“, desto mehr offizielle Briefings gab es vom Gouverneur. Abgesehen davon, dass mir der Mann über die Mattscheibe sympathisch erschien, ich kenne ihn ja nicht real, war das, was er sagte so eindringlich, so plastisch, sehr sachlich, aber auch emotional, dass ich Gänsehaut bekommen habe. Es ging darum, die Keys zu verlassen und ebenso die Küstenregionen, er sagte sinngemäß: Ich habe Familie, habe Kinder und Enkelkinder, die ich liebe. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne einen von ihnen leben zu können. Das hat mich beeindruckt.

 

Dann kam IRMA, deren Route schwer zu berechnen war. Es gab zwei Annahmen, zwei Modelle, ein amerikanisches und ein europäisches und das Letztere war deutlich näher am eingeschlagenen Weg. Auch, wenn IRMA in den Morgenstunden einmal mehr umgeschwenkt war. Bei CNN harrten die beiden Journalisten im Sturm und Regen aus, erwarteten das Auge der Lady IRMA. Zusätzlich hatte der Weather Channel einen Reporter an anderer Stelle auf der Straße stehen. Ich weiß nicht, ob es mutig, berechnend oder einfach nur dumm ist, das Risiko einzugehen verletzt oder durch einen dummen Zufall gar getötet zu werden. Das sind erwachsene Menschen, die selbst entscheiden können und müssen, was ihnen das wert ist. Sie warteten in Naples auf das Auge von IRMA, wollten ihr da ganz tief hinein bis zum Blauen des Himmels schauen. Zugegeben reizen würde mich das auch, nicht fünf Stunden und mehr in peitschendem Regen zu stehen, aber durch Auge des Hurrikans den blauen Himmel zu sehen. Das muss unvergesslich genial sein.

 

Das konnten sie dann auch. Irgendwann war es da und es erschien unwirklich, vom gnadenlosen, tosenden Sturm zu plötzlicher Stille. Zugegeben ich stelle mir das hammermäßig vor und ja, ich wäre da gerne dabei gewesen.

 

Die Berichterstattung war in meinen Augen einzigartig. Ich gebe zu, ich genieße diese Art des Voyeurismus. Dass Opfer zu beklagen sind, das ist böse und tut mir leid, aber warum diese Menschen trotz aller Warnungen im Auto unterwegs waren, ich weiß es nicht. Es gibt eine Menge Sachschaden, es werden immens viele Tränen fließen und es wird eine ganze Weile brauchen, bis alles wieder läuft. Während ich das schreibe, läuft nebenbei CNN und die Berichterstattung ist noch genauso intensiv, wie sie es gestern Abend gewesen war. Es regnet immer noch und es stürmt ordentlich, auch wenn Irma auf Stufe 1 zurückgestuft worden ist. Wenn der Tag da ist, der Regen nachgelassen hat und der Wind nur noch lau ist, wird man das vollständige Ausmaß sehen, wird der Schaden erkennbar sein.

 

Ich möchte nicht all die Staaten und Inseln vergessen, die IRMA auf ihrem Weg nach Florida schwer beschädigt und zum Teil vollkommen vernichtet hat. Wieder einmal hat es Haiti getroffen eines der ärmsten Länder dieser Erde. Ich mag das nicht nachvollziehen, wir kann ein solch wunderbares Land so arm sein? Vielleicht sollten wir alle vor der Armut, egal wo auch immer, nicht mehr die Augen verschließen. Es gibt Institutionen, die wirklich helfen, bei denen eine Spende und sei sie noch so klein, dort ankommt, wo sie Sinn macht. Welche das ist? Ich mag hier keinen Rat abgeben, ihr werdet das selbst finden.

 

Ich hoffe, dass es nicht zu heftig ist, dass die Karibik ihre Gelassenheit wiederfindet, dass schnell wieder zum Sunshinestate wird Florida und, dass für alle sich die Schäden in Grenzen halten und wenn nicht, dann die Hilfe, die sie brauchen rasch vor Ort sein wird.

 

Heute jährt sich der Tag, an dem die beiden Flugzeuge in die Twins des World Trade Centers geflogen sind. Denken wir an die vielen Menschen, die sinnlos ihr Leben gelassen haben und an ihre Lieben, die sie betrauern mussten.

 

Ich wünsche Euch einen guten Start in diese Woche, fangt sie ruhig und gelassen an, Hektik bringt nichts. Gelassenheit und innere Ruhe bringen Euch auch zum Ziel: Laßt es Euch gut gehen!

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