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Mein Bäcker, der Türke und mein Feind

Mein Bäcker ist Türke, seine Frau auch. Das ist in Berlin sicherlich nichts Besonderes. Ich hole dort, in der Bäckerei Villon in der Klosterstraße in Berlin-Spandau, fast täglich meine Brötchen. Mal diese, mal jene, immer schmecken sie sehr gut. Sie sind nett, die beiden jungen Menschen, arbeiten und rackern, sprechen unsere Sprache, nicht besser und nicht schlechter als ich das tu.

Gelegentlich trinke ich dort auch mal einen Espresso, wechsle auch ein paar private Worte. Manchmal bringe ich selbstgebackenen Kuchen zum Probieren dorthin, manchmal geben seine Frau oder er mir etwas zu versuchen. Ich finde das toll, fühle mich wohl, wenn ich Tür zum Laden öffne, der Geruch frisch gebackener Brötchen mich umgibt. Nie lässt er sich darüber aus, wenn ich müde aussehe und mich zuvor selbst im Spiegel nicht erkannt habe. Ich weiß ja nicht, ob nicht, obwohl Deutsch gesprochen wird, er sich mit seinen Mitarbeitern vielleicht ab und an darüber Bemerkungen in türkischer Sprache zuwerfen. Aber was soll’s, das interessiert mich nur wenig, das tut mir nicht weh. Nein, ich lasse nichts auf ihn oder seine Frau kommen, mein Bäckerpaar ist in Ordnung.

Nun habe ich mich darum bemüht Karten für die Begegnung im Olympiastadion zu bekommen. Ich wollte nicht wieder mal versäumen Karten zu bekommen, weil ich es meinen Kindern versprochen hatte. Ich hatte meinem Sohn Andreas immer versprochen mit ihm zu einem Spiel in das Stadion zu gehen. Das hat nie geklappt, was ich mir nie verzeihen werde. Während der Nationalhymne werde ich ganz fest an ihn denken und abermals Abbitte leisten. Dann aber werde ich den Abend genießen, dem Spile auf dem Rasen folgen, die Menge beobachten.

Als ich die Karten fest hatte, habe ich in der Bäckerei voller Freude erzählt, dass wir zu dem Fußballänderspiel (ja ich weiß da fehlt ein „l“, aber ich weigere mich ein Wort mit drei „l“ hintereinander zu tippen, da machen meine Finger nicht mit und die Tastatur hakt auch!“) Deutschland – Türkei gehen werden. Gegenüber, hinter der Theke entstand ein kurzes, betretenes Schweigen und mit dem herzlichsten Lächeln, das Mensch bekommen kann, erklärte er mir, dass wir da ja dann wohl Feinde wären. Zuerst guckte ich ihn etwas fassungslos und verständnislos an, so dass er diesen Satz wiederholte.

„Na, Deutschland – Türkei, für 90 Minuten werden wir Feinde sein.“ Da erst fiel der Groschen bei mir, so früh am Morgen war ich noch nicht voll konzentriert. Ja, klar er ist Türke und ob er einen deutschen Paß hat? Ich weiß es nicht, es interessiert mich auch nicht, ihn oder seine Frau in diesem Moment sicherlich auch nicht. Selbst wenn, wir werden lächelnde Feinde sein und das wird morgen früh, gleich wenn ich Brötchen holen gehe, anfangen. Ich werde ihm den nationalen Fehdehandschuh hinwerfen und hoffen, dass die DFB-Auswahl das für mich regeln wird. Also bitte, Jungs, ja? Legt Euch bitte ins Zeug.

Mein Bäcker ist ein Türke, er ist mein Feind, morgen für 90 Minuten und während ich im Stadion jedes unserer Tore bejubeln werde, wird er das für seine Mannschaft zu Hause tun, es sei denn, er ist auch im Stadion, das werde ich ihn noch fragen müssen.

Wir werden uns alle im Stadion finden, Türken, Deutsche, Menschen anderer Nationen, die nichts anderes wollen als ein schönes Spiel zu sehen, keine Krawalle, keine Randale, nichts von all dem wollen wir haben. Randale muss draußen bleiben, morgen aus dem Olympiastadion und darüber hinaus immer aus allen Stadien, bei allen Spielen.

Wäre seine Bäckerei Villon in der Klosterstraße in Spandau, nach dem Spiel noch offen, ich wäre dort, um, egal wie es ausgegangen ist, Frieden zu schließen und unsere Freundschaft neu zu besiegeln. Das muss leider bis Samstag warten, wenn ich in der Früh unsere Brötchen kaufen gehe, aber dann, dann wird es so weit sein.

4 Kommentare zu „Mein Bäcker, der Türke und mein Feind“

  • Hallöchen!
    Herrlich entspannt und normal dieser kurze Text. In einer Zeit, in der dumpfe Mitbürger gedankenlos den Thesen eines Herrn Sarrazin zujubeln, zeugen diese Zeilen davon, dass es noch die Menschen gibt, denen ein freundliches Miteinander am Herzen liegt.

    Grüße aus Spandau!

    Ralf Salecker

  • Hi Gitta,

    ein sehr schöner Text. So leicht und fröhlich geschrieben. Gefällt mir gut und macht Lust auf Multikulti in Berlin. In unserer Mannschaft spielt ein Türke, der auch für die Türkei ist. Obwohl er hier aufgewachsen ist, im Karneval auf der Bühne steht, mit uns über den Platz tobt und mehr dazu gehört als viele andere. Aber das respektieren so weit alle und es macht natürlich auch Spaß, wegen des sportlichen Wettkampfs. Er hat eine Frau aus dem Dorf geheiratet und die beiden haben eine deutsch-türkische Hochzeit gefeiert. Das funktioniert super.

    Euch wünsche ich im Stadion viel Spaß und dir gute Gedanken an deinen Sohn, wenn die Nationalhymne erklingt. Leider haben wir keinen Fernseher, sonst hätte ich an dich gedacht. Ich drück mal die Daumen…

    Liebe Grüße

    Jens

  • barbara2 says:

    warum man feinde sein muss, wenn jeder seine eigene mannschaft anfeuert, werde ich auch nie verstehen.

  • Gitta says:

    Liebe Barbara,
    Feinde sein in diesem Fall das ist in Ordnung, im Sinne so mancher Chaoten und Hooligans sicherlich nicht.
    Dass es keine Toleranz findet, dass Mesut Özil sich für Deutschland entschieden hat ist schade, aber ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass die Deutschen es umgekehrt auch so machen würden: gnadenlos auspfeifen, wenn der irrtümlich angenommen Abtrünnige am Ball ist.
    Wenn Hertha hier in Belrin absteigt, dann freue ich mich wenn sie wieder aufsteigen, wenn dann wiederum Kaiserslautern hier in Berlin gegen die Hertha spielen wird und ich dann hingehen sollte, dann wird mein Herz für Kaiserslautern schlagen, keine Frage, so ist das eben mit den Wurzeln. Einig mein Andreas, der war standhafter Bayernfan und ich schwöre Dir, dass ich keine Ahnung habe weshalb.
    Dir einen schönen Sonntag und einen guten Start in die Woche

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