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Muttertag

Jedes Jahr, gleich nach Ostern, erscheinen überall die Herzen, die darauf hinweisen sollen, dass bald Muttertag sein wird. Eine Freundin schrieb mir letzte Woche, sie wünsche mir einen schönen Muttertag. Muttertag? Der ist doch erst nächste Woche! Nein natürlich nicht, ich habe verdrängt, dass der 1.Mai ein Sonntag war.  War die letzte Woche zu beschäftigt, zu eingespannt.

Seit Jahren feiere ich keinen Muttertag mehr. Warum sollen sich meine Töchter eins abbiegen, mir irgendetwas kaufen? Warum sollen sie sich nicht mit Freunden treffen? Oder einen überteuerten Blumenstrauß kaufen? Brauche ich nicht. Mir reicht es, wenn ich sie sehe, auch wenn das nur kurz ist, eine Tasse Kaffee eben mal schnell. Das ist mir alles sehr viel lieber. So habe ich diesen Tag einfach zu einem normalen Sonntag umfuntkioniert.

Dieses Jahr jedoch ist alles anders. Nein, es wird nichts geschenkt, kein Blumenstrauß, keine Pralinen, keine Schokoladen. Trotzdem treffen wir uns heute Nachmittag alle zu einer Tasse Kaffee. Wir werden zusammen sitzen, die Stunden genießen, die so nicht mehr wieder kommen werden. Unter dem Menuepunkt „Drehbuch“ schreibe ich darüber, dass meine Schwiegermutter bei mir lebt. Sie ist an Demenz erkrankt, sehr lange schon. Erst schleichend, dann sehr schnell machte diese verfluchte Krankheit sich bemerkbar. Lange schon erkennt sie uns nur selten, muss gepflegt werden. Inzwischen ist sie 89 Jahre alt. Eine Menge Holz, ein Krieg, eine Liebe, den Verlust des Mannes, des Enkels und ihrer Schwestern tapfer gelebt.

Nun ist ihre Krankheit in ein Stadium eingetreten, wo ich sagen kann, dass es für sie keinen weiteren Muttertag mehr geben wird. Sie kann nicht mehr laufen, nicht mehr alleine essen und trinken, sich noch nicht mal mehr nachts alleine drehen. Also werden wir es ihr so schön machen wie es eben möglich ist. Anstatt wie sonst immer im Wintergarten, werden wir im Wohnzimmer sitzen und Kaffee trinken. Sie kann seit einigen Tagen nicht mehr gehen. Wir werden sie, ohne dass es für sie allzu auffällig ist wie ganz zufällig mit der Schokobisquitrolle füttern, bis sie signalisiert, dass sie das nicht mehr mag. Meine Mutter, mit der sie so lange Jahre befreundet war, wird ebenfalls dabei sein. Familie halt. Geborgenheit.

Sie kann kaum noch reden und das was sie sagen will versinkt in ihren Gedanken. Ihre Augen aber drücken das aus, was sie denkt. Sie sind so ruhig und so liebevoll geworden, so ganz ohne Zweifel und voller Vertrauen. Es ist mir vollkommen egal was die Medizin dazu sagt, dass sie jeden so anschauen würde, dass sie so oder so gar nicht mehr weiß wo sie ist, wer wir sind. Es ist schnurzpiepegal was die sagen, ich weiß, dass sie ganz tief in ihrem Innern weiß wo sie ist, dass wir ihre Kinder sind, auch ich als ihre Schwiegertochter war für sie immer mehr als das. Die „Böse“ Schwiegermutter war immer ein Fremdwort für sie. In diesem Sinn, in ihrem Sinn werden wir diesen Tag miteinander genießen.

Genießt den Tag und alle anderen, die noch kommen immer so, als wäre es der letzte Tag.  

 

2 Kommentare zu „Muttertag“

  • S. Wolgast says:

    Traumhaft. Du sprichst mir zum Teil aus der Seele, was soll das kommerzielle Theater wegen Muttertag. Finde ich auch doof.
    Aber das Miteinander für Deine Schwiegermutter finde ich nur schön. Wünsche euch einen ganz harmonischen Tag.
    Sylvia

  • Gitta says:

    Liebe Sylvia,
    danke für Deinen Besuch in meinem „virtuellen zu Hause“. So lange mir die Kinder etwas, das sie selbst gebastelt hatten, aus Kindergarten und Schule zum Muttertag geschenkt haben, war das vollkommen in Ordnung. Ich habe so ziemlich alles aufbewahrt. Darüber habe ich mich gefreut, vollkommen egal, ob mit oder ohne Fehler, ob krumm, schief oder gerade. Das war mir alles egal, denn sie haben sich dafür ins zeug gelegt, haben alles dafür gegeben.
    Irgendwann als sie mich fragten was ich zum Muttertag haben wollte, da habe ich das eingestellt.
    Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
    Herzlich
    Gitta

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